Ein Lesekonzert mit Kinga Tóth, Romina Nikolic, Friedrich Kettlitz, Mario Osterland und der Leipziger Minimal-Jazz-Formation random words unter der Leitung von Noah Punkt. Eine Interaktion von Wort, Text und Jazz, von Wort-Laut-Strukturen und offener, thematisch angelegter und zugleich improvisierender Musik.
„Der bandeigene musikalische Grundansatz sensibler Entwicklung von einzelnen Melodielinien hin zu komplexen Klangtexturen auf Grundlage der freien Komposition bietet als weitgehend konventionsbefreit einen offenen Ansatz für literarische Inbezugsetzungen von Erzähl- und Melodieverläufen, Harmonien / Sound und Wortklängen sowie rhythmischen Sprach- und Klangstrukturen. Die experimentelle Interaktion des Abends basiert auf den beiden Medien gemeinsamen und wesentlichen Kompositionsprinzipien – die Thematik ist offen und liefert Bühnenlandschaften.“
Der Autor Moritz Gause, Mitbegründer von „In guter Nachbarschaft“, war jahrelang Organisator und Moderator unzähliger Literaturveranstaltungen und Schreibworkshops in Thüringen.Moritz Gause (Foto: Patrick Savolainen)
Seit August 2015 lebt er in Bishkek, der Hauptstadt Kirgisistans, und arbeitet dort als Sprachassistent am Goethe-Institut. Auf Instagram dokumentiert er regelmäßig das Leben vor Ort mit Fotos und Videos.
Hier stellen wir drei seiner Gedichte vor, die in Kirgisistan entstanden sind.
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Ashina
Du fragst in einem Deiner Briefe
ob es hier Wölfe gibt.
Sicherlich, und manchmal denke ich
ich sei einer von Ihnen, freilich nur noch Hund
und vielleicht zog mich darum
alles nach Osten, so lang schon, und vielleicht fühle ich darum
ich sei angekommen
als fände ich hier meine zweite Familie
in der Ebene zwischen den Bergen
die aussehen, als habe jemand das vielfach geflickte
und doch so ruhige Tuch der Steppe
mit Zeltstangen angehoben, als sei ich
sei etwas in mir
von hier gekommen.
Aus diesen Bergen, von denen keiner weiß
wo geht die Erde, wo geht das Nichts zuende
wo fangen die Träume an.
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Unter dem Bildnis eines toten Hundes
dessen zerfressene Augen nirgendwohin mehr schauen
am Rand der Straße durch die Steppe, zwischen Kieseln und Staub
steht der Vorwurf: ein solches Bild entwürdige die Kreatur.
In der Gobi legten sie früher
ihre Toten auf Hügel und ließen
die Geier, Wölfe und Hunde sie fressen.
Wir fürchten das Unausweichliche.
Ich habe den Hund photographiert.
Er stank so sehr, dass ich mir die Nase zuhielt.
Der Brustkorb eingefallen, ein schwarzes Loch
der hintere Darm aufgebläht. Ich beugte mich hinunter
die zerfressenen Augen, die vertrocknete Nase zu photographieren.
Der kalte Wind blies mir den Gestank ins Gesicht
ich hielt den Atem an
um nicht zu erbrechen.
Auf einem seiner Beine, das Haar heruntergefressen
lag eine Zigarettenkippe. Der Hund lag dort
liegt er noch, was ist übrig.
Jemand hatte die Kippe im Vorbeifahren
aus dem Autofenster geschnippt
oder der Wind hatte sie dorthin geweht.
Ein toter Steppenhund.
Keine Fragen mehr. Kein Hunger. Keine Furcht.
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In der Marshrutka nach Kant
lesen sich die Nachbarn Bauch an Bauch
aus ihren dichtbedruckten feuchten Händen.
Dann wächst ein bisher ungekanntes Zeichen aus der Haut.
Im grünen Licht. An der elften Station.
Die Nachbarn flüstern. Sie raunen. Es gibt zu viele Rosenkreuzer dort in Bishkek.
Ich dränge mich vorbei an starren grünen Mienen
und atme auf im abendlichen Kant.
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Das ruhige Tuch der Steppe
Welchen Einfluss eine Landschaft, ein fremdes Land, eine andere Kultur auf die Entstehungsbedingungen von Literatur und letztlich auf die entstandenen Texte selbst haben können, lässt sich an Moritz Gauses Gedichten aus Kirgisistan besonders gut ablesen.
Verglichen mit dem gros der jüngeren deutschsprachigen Lyrik klingt in Gauses Gedichten ein erkennbar pathetischer Ton an, den sich hierzulande kaum noch jemand traut. Dieses Pathos ist weder kitschig noch glorifizierend, sondern versucht der Erhabenheit der kirgisischen Landschaften, der Steppen und Berge gerecht zu werden. Es dominiert die Texte nicht von oben her, sondern schafft eine Atmosphäre, die die Texte trägt.
Gause macht kein Geheimnis daraus, dass Fernweh ihn nach Zentralasien zog. Er passe ganz gut dorthin, sagt er im Interview. Im Gedicht Ashina wird das besonders deutlich. Und dort heißt es auch „in der Ebene zwischen den Bergen/ die aussehen, als habe jemand das vielfach geflickte/ und doch so ruhige Tuch der Steppe/ mit Zeltstange angehoben“. Die sprachliche Reflexion der Sehnsuchtslandschaft öffnet hier einen neuen Raum, lässt eine zweite Landschaft mit eigenen Geheimnissen, einem eigenen Profil entstehen. Die Gegend um Bishkek, so scheint es, besitzt poetisch fruchtbaren Boden.
Doch es ist ebenso wenig eine ungebrochene Idylle, wie etwa der heute wieder öfter „besungene“ deutsche Wald. Es ist raues Land, magisches Land, Schamanenland. In der Steppe verenden Hunde, in der Marshrutka liest man nicht in der Zeitung, sondern aus Händen. Wildnis und Fremdheit bleiben immer präsent. Und vielleicht ist das der Grund, warum für Gause die Berge Kirgisistans auf Zeltstangen ruhen und nicht auf steinernen Massiven. Der Wind drückt spürbar auf das Land. Ankommen heißt nicht automatisch sesshaft werden. „Das Kapitel ist ja noch lang nicht abgeschlossen.“
Mario Osterland
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Die Gedichte Ashina und Unter dem Bild eines toten Hundes erschienen zuerst in Metamorphosen 11.
Der Autor Moritz Gause, Mitbegründer von „In guter Nachbarschaft“, war jahrelang Organisator und Moderator unzähliger Literaturveranstaltungen und Schreibworkshops in Thüringen. Seit August 2015 lebt er in Bishkek, der Hauptstadt Kirgisistans, und arbeitet dort als Sprachassistent am Goethe-Institut. Auf Instagram dokumentiert er regelmäßig das Leben vor Ort in Fotos und Videos. Höchste Zeit für ein Gespräch über sein Leben in Zentralasien.
Moritz Gause (Foto: Thomas Holbach)
Mario Osterland: Moritz, was hat dich ausgerechnet nach Bishkek verschlagen?
Moritz Gause: Also, seit Jahren schon zieht es mich immer weiter und weiter nach Osten. Erst Russland, und dann kam Zentralasien dran. Mein Interesse begann 2013, als ich für eine Woche zum Schreiben ins Burgenland eingeladen war, direkt an der ungarischen Grenze. Und dafür hatte ich über die Geschichte der Landschaft recherchiert und mir war erstmals bewusst geworden, wie wichtig der zentralasiatische Raum ist, historisch gesehen. All die Völker, die dort durchgereist waren, oder sogar von dort gekommen waren; und auch der massive Kulturaustausch, der dort über Jahrtausende stattgefunden hat, also all das hat mich zutiefst beeindruckt. Und dann hatte ich plötzlich die Möglichkeit, als Sprachassistent nach Bishkek zu gehen. Da habe ich sofort und ohne weiteres Nachdenken Ja! gesagt.
M.O.: Trotzdem ist Zentralasien ja immer noch eine der exotischsten Regionen der Erde. Trotz Internet, Globalisierung etc. habe ich den Eindruck, dass man als Mitteleuropäer gemeinhin nicht wirklich viel über die Länder dort weiß.
M.G.: Die Länder sind alle sehr unterschiedlich; die historischen Gründe jetzt einzeln aufzuführen, würde leider zu weit führen. Bishkek jedenfalls ist, soweit ich das beurteilen kann, stark russisch geprägt, also nicht so mega-exotisch; jedenfalls nicht für mich, der mit der Region schon über zehn Jahre mehr oder minder vertraut ist. Mit den kleineren Städten und Dörfern sieht es schon anders aus, allerdings habe ich dort nicht den tiefen Einblick, weil ich berufsbedingt die meiste Zeit in Bishkek bin. Aber hier ist es schon wilder, chaotischer und pittoresker als in den meisten Kasachischen Städten; die waren dem russischen Einfluss noch bedeutend stärker ausgesetzt.
M.O.: Wenn du wilder, chaotischer, pittoresker sagst… Wie würdest du das Leben in Kirgisistan im Vergleich zu Deutschland beschreiben?
M.G.: Naja, ehrlich gesagt, ich glaube, ich passe ganz gut hierher. Ich bin ja eher der verpeilte, spontane Typ. Das ergänzt sich ganz gut. Und führt immer wieder zu Verwirrung bei den Leuten hier, die natürlich das Stereotyp eines durchgeplanten, überpünktlichen und peniblen Kartoffel-Deutschen erwarten. Aber das ließe sich hier eh nicht durchziehen. Mit einem Wort, wenn es auch etwas altmodisch klingt: Jeder Tag ist anders.
M.O.: Ich war überrascht zu lesen, dass 75% der Kirgisen sunnitische Muslime sind. In einem ehemaligen Land der Sowjetunion erwartet man das nicht unbedingt. Macht sich die muslimische Prägung im Alltag Bishkeks bemerkbar?
M.G.: Eher nicht. Es ist ein sehr moderater Islam. Kirgistan ist auch sehr spät islamisiert worden, jedenfalls der Norden. Im Süden, in der Nähe zu Usbekistan und Tadschikistan, ist es sicher anders, aber dort war ich bis jetzt nur sehr kurz. Das Bishkeker Stadtbild ist im Sommer eher durch kurze Röcke und hohe Absätze geprägt, um es bildlich zu machen. Vollverschleierte Frauen sind eher selten und, so sagte man mir, auch erst seit kürzerer Zeit überhaupt bemerkbar.
M.O.: Das heißt Religion ist im säkularen Kirgisistan vor allem Privatsache?
M.G.: Definitiv. Es werden ein paar größere Moscheen gebaut, aber es ist schon sehr säkulär. Und es gibt noch immer viele Bräuche, die dem Tengrismus, der alten Nomadenreligion, entstammen.
M.O.: Das ist interessant. Weil ich zugeben muss, dass ich bei zentralasiatischen Ländern immer zuerst an Steppe und Reitervölker denke. Was natürlich ein Klischee ist, oder?
M.G.: Überhaupt nicht. Natürlich ist das nicht aktuell, weil die Menschen durch die Sovjets zwangsweise sesshaft gemacht wurden. Aber es gibt in Kirgistan immer noch ein paar Nomaden. Allerdings ist Kirgistan eher ein Berg-, als ein Steppenland. Aber auch hier gibt es wahnsinnig beeindruckende Steppenlandschaften. Und Pferde. Und Schafe. Nicht mehr soviel, wie früher angeblich, aber für einen Mitteleuropäer ist das schon überwältigend. Aber die Landschaften insgesamt sind eh überwältigend.
Im Suusamyr-Hochtal, Kirgisistan (Foto: Moritz Gause)
M.O.: Aha, findet der deutsche Dichter da etwa Erhabenheit?
M.G.: Ähm, ja! Wenn ich hier auf Dienstreise durch die Berge fahre, habe ich regelmäßig das Gefühl, dass meine Brust sich öffnet. Und mit der Steppe ist es das gleiche.
M.O.: Das merkt man natürlich auch beim Lesen deiner Gedichte, die in Bishkek entstehen. Wie ist dein Eindruck? Wie wirkt sich Kirgisistan auf dein Schreiben aus?
M.G.: Eine schwierige Frage. Ich weiß nicht. Vielleicht eine stärkere Durchmischung von Rauheit und Magie. Aber ich bin mir da unsicher. Das Kapitel ist ja noch lang nicht abgeschlossen. Ich habe angefangen, längere Gedichte zu schreiben. Das mag etwas mit der Weite der Landschaft zu tun haben. Und das Bild, also für mich, das Bild des Dichters als Sänger ist auch irgendwie wieder präsenter geworden. Aber das trifft selbstverständlich nicht auf alle Gedichte zu. Lass uns in zwei Jahren nochmal drüber reden. Dann weiß ich vielleicht mehr.
M.O.: Dann lass uns über deine Arbeit als Sprachassistent reden. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie gut dein Kirgisisch inzwischen ist.
M.G.: Haha, es ist quasi inexistent. Alltagssprachen hier sind sowohl Russisch, als auch Kirgisisch. Und mein Russisch ist zwar schlecht, aber ausreichend. Und der Unterricht findet ausnahmslos auf Deutsch statt. Aber ich hoffe, dass ich in der nächsten Zeit mehr Kirgisisch lernen kann. Bis jetzt war einfach zu viel zu tun.
M.O.: Kann ich mir vorstellen. Du hast über den Deutschunterricht hinaus u.a. einen Lyrikworkshop in Bishkek veranstaltet. Wie kam es dazu?
M.G.: Teil des Sprachassistenten-Programms des Goethe-Instituts ist, das mehrere Sprachassistent*innen gemeinsam ein größeres Projekt organisieren. Und wir haben uns dafür entschieden, Robert Prosser einzuladen. Robert hat dann in drei Kasachischen Städten und in Bishkek Werkstätten geleitet, und wir haben pro Werkstatt eine Präsentation veranstaltet. Das war sehr schön. In zwei Wochen dann kommen die besten Teilnehmer aus allen Städten in Astana (der Haupstadt Kasachstans) zusammen und erarbeiten ein längeres Programm. Die entstandenen Gedichte können auf unserer Website nachgelesen werden.
M.O.: In gewisser Weise führst du mit dem Workshop auch die Arbeit aus deiner Zeit in Thüringen fort, oder?
M.G.: Aber klar. Es ist mir immer ein Anliegen gewesen, Lyrik zu vermitteln, zu zeigen, das Gedichte sehr gut in unsere Zeit passen, dass sie uns etwas sagen können, und vor allem, dass wir etwas mit Gedichten sagen können. Dass die Lyrik nicht einfach nur eine tote literaturhistorische Kategorie ist oder irgendwas Abgehobenes.
M.O.: Du warst im Januar kurz zu Besuch in Deutschland um u.a. in Erfurt aus deinem letzten Gedichtband Blue Monday zu lesen. Wann gibt es das nächste Wiedersehen mit dir in Thüringen?
M.G.: Am 22. Juni habe ich eine Lesung im Schillerhaus in Rudolstadt. Und natürlich werde ich am 9. Juli beim Nachbarschaftsfest in Jena sein, das ist ja klar. Aber dort bin ich nur zum Stühletragen und Biertrinken.
M.O.: Wir freuen uns auf dich und stellen dir natürlich gern eins kalt! Oder zwei.