Die COVID19-Pandemie stellt viele Menschen innerhalb der Kulturlandschaft und weit darüber hinaus vor ungewisse Wochen und Monate. Auch wir wissen noch nicht, wann es mit In guter Nachbarschaft weitergehen wird. Wir haben uns dazu entschlossen, die Wartezeit damit zu überbrücken, einige Künstler:innen unserer vergangenen Veranstaltungen zu befragen, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen.
Im Mai 2019 war Deniz Ohde zu Gast bei IN GUTER NACHBARSCHAFT #21 in Weimar und las aus dem Manuskript ihres Romans Streulicht, der diesen Sommer bei Suhrkamp erscheint.

Liebe Deniz, wie geht’s dir derzeit?
Mir geht es gut! Ich habe den Vorteil, dass ich vor manchen der Probleme, vor denen viele Menschen angesichts der Situation gerade stehen, schon vorher stand. Also z.B., wie arbeitet es sich am besten im Home-Office, wie strukturiere ich dort meinen Tag, wie sehe ich zu, dass ich mich genug bewege – in vielerlei Hinsicht ist mir aufgegangen, dass mein Lebensstil an sich schon Quarantäne ist (lol), da entspreche ich vielleicht dem Klischee vom einsamen Schriftsteller. Und das sind natürlich totale Luxusprobleme, denn es ist ein großes Privileg seinen Lebensunterhalt durch Schreiben zu finanzieren und nirgendwo hin zu müssen; außerdem trage ich keine Verantwortung für Kinder oder Angehörige, für die ich jetzt zusätzlich zeitlich oder finanziell aufkommen müsste. Also ja, mir geht‘s gut und ich schätze mich glücklich!
Kannst du die Zeit zu Hause kreativ nutzen oder bremst dich dieser Zustand eher aus?
Am Anfang hat mich die Situation etwas ausgebremst, weil ich mich zu sehr mit den Nachrichten und Live-Tickern beschäftigt habe und mir dabei Sorgen um die Gesundheit meiner Familie und mir gemacht habe. Aber mittlerweile bin ich fast zum Normalzustand zurückgekehrt, und der bedeutet für mich morgens bis mittags nicht ins Internet zu gehen.
Du warst im Mai vergangenen Jahres bei uns in Weimar zu Gast. Woran hast du in der Zwischenzeit gearbeitet, bevor sich die aktuelle Corona-Situation eingestellt hat?
Kurz nachdem ich bei euch war, habe ich den Vertrag für meinen Debütroman unterschrieben. Dann begann für mich die Arbeit am Text, vor allem in den letzten Monaten war ich mit dem Lektorat beschäftigt. Parallel habe ich etwas an meiner zweiten Romanidee geschrieben, mir darüber Gedanken gemacht und recherchiert.
Herzlichen Glückwunsch! Wann wird der Roman erscheinen und worum geht’s darin?
Danke!! Der Roman heißt Streulicht, erscheint am 17.08. bei Suhrkamp, und es geht darin thematisch vor allem um das Bildungsversprechen von Chancengleichheit und real erlebte Ungleichheit. In den Worten meines Verlags:
„Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.“
Welche Projekte sind bei dir derzeit zum erliegen gekommen?
Das Schreiben am nächsten Text geht nur sehr schleppend voran, das hat aber nichts mit der aktuellen Situation zu tun, sondern vielmehr damit, dass das gerade einfach die Phase der Arbeit ist. Die besteht vor allem aus Lesen, Nachdenken und die Sache sich innerlich formen lassen. Außerdem stecke ich gedanklich noch mitten im ersten Text und das auch planmäßig, die jetzige Zeit wäre auch so eher zurückgezogen gewesen. Ich hatte keine Lesungen oder ähnliches geplant, die jetzt ausgefallen wären. Auch das ist wieder ein Glücksfall, es hätte aber genauso gut nicht so kommen können, und deshalb fühle ich mit allen Kolleg*innen (darunter vor allem die Debütant*innen), die im Frühlingsprogramm ein Buch veröffentlicht haben und jetzt nicht damit raus können. – Wie sich da die Lage bis August entwickelt, darauf bin ich gespannt.
Was denkst du kann schlimmsten- oder bestenfalls passieren?
Bestenfalls sind die Buchläden wieder offen und z.B. Lesungen mit begrenzter Publikumsanzahl erlaubt. Dass sich allerdings bis dahin alles wieder normalisiert hat, dass eine Großveranstaltung wie die Frankfurter Buchmesse stattfindet, das halte ich eigentlich nicht für realistisch, und das finde ich natürlich schade. Trotzdem hoffe ich aber noch; auch dass das Buch, egal welches Szenario wir bis dahin haben, bei den Leuten ankommen wird, die es lesen wollen.
Welche Hilfen erhoffst du von Seiten der Entscheidungsträger:innen für freischaffende Künstler:innen?
Ich wünsche mir, dass die Arbeitsausfälle, unter denen viele freischaffende Künstler*innen gerade zu leiden haben, getragen werden, und zwar ohne Kredit o.ä. Die letzte Zeit ist hat außerdem nochmal eindeutig gezeigt, dass ohne Kunst zu leben unmöglich ist; jede*r, der*die derzeit gezwungen ist zu Hause zu bleiben, ist darauf angewiesen, um nicht verrückt zu werden, deshalb wünsche ich mir vor allem längerfristig, dass die Erkenntnis hängen bleibt und nicht immer zu erst der Kulturbetrieb von Kürzungen betroffen ist – aber keine Ahnung, ob das eine realistische Hoffnung ist.
Ansonsten wünsche ich mir sowieso und immer Wohlstand für alle, vor allem für die Personen, auf deren Schultern auch schon vorher das ganze System gelastet hat und die trotzdem zu wenig Geld, Anerkennung und Freizeit bekommen: Pflegepersonal, Arbeitende im Supermarkt, Kraftfahrende, Bauarbeiter*innen, Fabrikarbeiter*innen, Putzkräfte, die Leute, die jetzt die vielen Online-Bestellungen abwickeln und ausfahren, etc. etc. smash capitalism now!
Liebe Deniz, vielen Dank für deine Antworten.
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Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie auch lebt. 2016 war sie Finalistin des 24. open mike und des 10. poet bewegt Literaturwettbewerbs, 2017 Stipendiatin des 21. Klagenfurter Literaturkurses. 2019 stand sie auf der Shortlist für den Wortmeldungen-Förderpreis. Im Sommer 2020 erscheint ihr Debutroman Streulicht im Suhrkamp Verlag.