Rückschau: IN GUTER NACHBARSCHAFT #20

Am 11. April 2019 fand im Franz Mehlhose in Erfurt IN GUTER NACHBARSCHAFT bereits zum 20. Mal statt. Die Leipziger Autorin Isabelle Lehn las dabei aus ihrem aktuellen Roman „Frühlingserwachen“ und sprach mit Moderator Mario Osterland über die Entstehung des Romans, dem Verhältnis von Fakt und Fiktion, sowie gesellschaftliche Tabuisierungen.

Außerdem überzeugten mit ihren teilweise noch unveröffentlichten Texten die Autorinnen Antje Lampe und Sandra Blume. Musikalisch begleitet, gerahmt und wunderbar untermalt wurde der Abend von yanzzon, der nicht nur mit seinem Gitarrenspiel, sondern auch am E-Piano überzeugte.

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Herzlichen Dank an alle Beteiligten Künstler*innen, Förder*innen und Freund*innen! (Alle Fotos © Anne Osterland)

Die nächste Ausgabe IN GUTER NACHBARSCHAFT gibt es am 17. Mai 2019 in der ACC Galerie in Weimar. Dann mit Deniz Ohde, Tommy Neuwirth u.a. Weitere Infos folgen in Kürze hier.

11.4. – Erfurt – IN GUTER NACHBARSCHAFT #20

Zum 20. Mal IN GUTER NACHBARSCHAFT – wir feiern natürlich mit Literatur und Musik! Zu Gast ist diesmal die Leipziger Autorin Isabelle Lehn, die in Lesung und Gespräch ihr neues Buch Frühlingserwachen vorstellen wird. Außerdem lesen Sandra Blume (Eisenach) und Antje Lampe (Erfurt) aus ihren noch unveröffentlichten Texten.

Musik gibt es diesmal vom Erfurter Singer/Songwriter yannzon.

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am 11. April 2019 — um 19:30 Uhr

im Kulturcafé Franz Mehlhose (Löberstr. 12, 99084 Erfurt)

Eintritt: 5,-€ (ermäßigt 3,-€)

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Isabelle Lehn, geb. 1979 in Bonn, lebt heute in Leipzig und führt auf den ersten Blick ein erfolgreiches Leben: promovierte Rhetorikerin, Autorin des mehrfach ausgezeichneten Debütromans »Binde zwei Vögel zusammen«, Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Alles andere ist Auslegungssache.

Sandra Blume hat Geschichte, Kulturwissenschaften und Journalistik studiert. Sie arbeitet seit 2005 als freie Texterin, PR-Beraterin und Theaterdramaturgin. Seit 2013 ist sie Pressesprecherin des Wartburgkreises in Thüringen. Im August 2018 erschien der Wandkalender „Beginnende Tage“ mit Texten und Fotografien der Autorin beim Thüringer Landstreicher Verlag. Im Internet sind ihre Texte und Fotos unter www.herzhuepfen.com zu finden.

Antje Lampe, Jahrgang 1989, geboren und aufgewachsen in einer Kleinstadt in Brandenburg, inzwischen Erfurterin aus Gelegenheit. Studium der Kommunikations- und Sprachwissenschaften. Eobanus-Hessus-Preisträgerin 2018. Als Gründungsmitglied der Aktionsgruppe Eskapismus liest sie regelmäßig Texte auf eigenen oder fremden Bühnen vor.

yanzzon ist ein Singer/Songwriter aus Erfurt, der mit Piano und Gitarre stimmungsvolle Klangwelten erschafft und seine selbst komponierten Songs wie Filmmusiken erklingen lässt. Seine Texte verbinden Traumbilder mit Autobiographischem, Improvisation und Experimentierfreude sind wesentliche Elemente seiner Liveauftritte. www.yanzzon.de

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Die unabhängige Lesereihe IN GUTER NACHBARSCHAFT gehört zum festen Bestandteil der Thüringer Literaturszene. Sie vereint seit 2014 neue Lyrik und Prosa mit aktueller Musik. Über zahlreiche selbst organisierte Veranstaltungen hinaus wird die Lesereihe von Kulturveranstaltern im gesamten Freistaat als zuverlässiger Partner für anspruchsvolle und unterhaltsame Literatur geschätzt.

IN GUTER NACHBARSCHAFT ist ein Projekt der Literarische Gesellschaft Thüringen e.V. und wird gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaats Thüringen.

Außerdem sind wir Teil der Initiative Unabhängige Lesereihen.

Rückschau: In guter Nachbarschaft #18

Die 18. Ausgabe von IN GUTER NACHBARSCHAFT ist leider Geschichte, aber es war ein Abend, der uns und unserem Publikum noch lange angenehm in Erinnerung bleiben wird. Die österreichischen Autoren Robert Prosser und Niklas L. Niskate gaben sich am 26. Oktober, dem Nationalfeiertag ihres gelobten Heimatlandes, die Ehre und performten live aus ihren Texten.

Eröffnet wurde der Abend dem Anlass gemäß mit einem poetischen Lobpreis auf die Alpenrepublik, bevor Robert Prosser die Bühne enterte und den Beginn seines 2017 erschienenen Romans Phantome (Ullstein Verlag) freisprechend in einer energiegeladenen Rezitation darbot. Sowohl von der Bühne herab als auch im Zuschauerraum umherschreitend, zog Prosser das Publikum in den Bann der Erzählung, in der die Zuhörer einem jungen Kriegsflüchtling aus Bosnien buchstäblich durch den Wiener Untergrund der Graffitiszene folgen.

Anschließend präsentierte Niklas L. Niskate, unterstützt von einer Loopstation, brandneue Lyrik aus seinem am Tag der Veranstaltung druckfrisch erschienenen Buch Entwicklung der Knoten (edition mosaik). Dabei baute er zunächst Schicht für Schicht und Stimme für Stimme einen Klangteppich aus Klopfgeräuschen und Beatbox-Elementen auf, bevor er den eigentlichen Gedichttext auf diesen Teppich gebettet vortrug bzw. in den Klang einwob. Das Publikum konnte so live den Entstehungsprozess der Stücke mitverfolgen, die die Grenzen zwischen Worten, Lauten und Klängen, schließlich sogar zwischen Literatur und Musik verwischen und Neues entstehen lassen.

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Im Autorengespräch gaben Prosser und Niskate Einblicke in ihre jeweiligen Schreibprozesse und erläuterten, warum ihre Darbietungen sich von der klassischen Literaturlesung entfernen. Gemein ist beiden, dass sie durch den Vortrag dem Text eine adäquate Präsentation und zusätzliche Sinnebenen geben.

Abschließend standen Prosser und Niskate erstmals und exklusiv für diesen Abend gemeinsam auf der Bühne und trugen von Lyrik in Prosa, von Prosa in Lyrik übersetzte Texte des jeweils anderen vor. Zusätzlich performten die Autoren Rücken an Rücken einen kraftvollen Text als Resultat einer fruchtbaren Zusammenarbeit im oberösterreichischen Almtal, „dem eigentlichen Tirol“, wie Prosser dem Publikum versicherte.

Wir bedanken uns sehr herzlich bei allen Zuschauer*innen, bei Niklas L. Niskate und Robert Prosser, beim Team von FRANZ MEHLHOSE, der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. und der Thüringer Staatskanzlei für die freundliche Unterstützung.

(Fotos: Anne Osterland)

http://www.robertprosser.at/

https://niskate.com/

26.10. – Erfurt – IN GUTER NACHBARSCHAFT #18

Liebe Freund*innen, am 26. Oktober kehren wir endlich wieder zurück nach Erfurt und beenden damit unsere lange Sommerpause. Im Franz Mehlhose erwartet euch ein einzigartiger Literaturabend. Der Tiroler Autor Robert Prosser trägt in einer einzigartigen Leseperformance frei(!) aus seinem Roman Phantome (nominiert für den Deutschen Buchpreis 2017) vor. Niklas L. Niskate, in Oberösterreich lebend, performt seine Texte ebenfalls frei, mithilfe von Loops und elektronischen Effekten entsteht Soundpoesie vom Feinsten. Beide Künstler stellen zudem eine gemeinsame Performance vor, die sie eigens für diesen Abend erarbeitet haben. Prosa, die Lyrik, Lyrik, die Prosa wird. Eine außergewöhnliche Performance-Kollaboration!

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Freitag, 26.10.2018 – 20 Uhr

Franz Mehlhose (Löberstr. 12, 99084 Erfurt)

Eintritt: 5,-/erm. 3,-€ (nur Abendkasse, Ticketreservierung unter inguternachbarschaft [at] gmx.de)

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NIKLAS L. NISKATE wuchs als Kaninchen unter Dodos auf. In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts ging er in der Wortschmiede des Bergarbeiterschaft Nordsüdinnung in die Leere. Es folgten nach Intermezzi bei den Neandertalern in den 1630erJahren Auftritte als Sprachspucker im wandernden Androidentheater, das sich allerdings nicht lange am Leben halten konnte. Bei einem später folgenden freien Wettbewerb im Wortwerfen wurde er mit zwei Dutzend Kronkorkenorden ausgezeichnet, die er fortan, an sich befestigt zu Schau stellen sollte. Derart traumatisiert ergriff er die Flucht und begann unverzüglich mit der Untertunnelung des Ozeans. Ende des 19. Jahrhunderts tauchte er wieder auf, im Lesesaal der Universität Fort Hare, wo er 1910 als erstes Kaninchen weltweit den Hochschulabschluss in Innenarchitektur, Tunnelbau und Projektionsfelderwirtschaft absolvierte. Auf diese Art akademisch verwahrlost, kratzte er in den Folgejahren Erdgedichte aus Tunnelwänden und brachte sie zu einem nahegelegenen Gunstmarkt.
Seitdem entstanden freie Kooperationen mit so namhaften Größen wie dem Zufall. Zahlreiche Veröffentlichungen, Preise, Auszeichnungen, Lobhudeleien und Gunstbezeugungen innerhalb der berüchtigten Literaturgruppe Spiegelkabinett, deren einziges Mitglied er darstellt. https://niskate.com/

ROBERT PROSSER, geboren 1983 in Alpbach/Tirol, lebt dort und in Wien. Studium der Komparatistik und Kultur- und Sozialanthropologie, Aufenthalte in Asien, in der arabischen Welt und in England. Er tritt mit Performances auf, ist Mitbegründer von Babelsprech zur internationalen Förderung junger Poesie und konzipiert im Literaturhaus Wien die Lesungsreihe Kombo Kosmopolit. Er veröffentlichte u.a. den Roman Geister und Tattoos (Klever, 2013), sowie als Mitherausgeber Lyrik von Jetzt 3 (Wallstein, 2015). Im August 2017 erschien bei Ullstein fünf der Roman Phantome.
Einige Auszeichnungen, u.a.: Österreichisches Projektstipendium für Literatur 2018/2019, Longlist Deutscher Buchpreis 2017 (mit Phantome), Land-Niederösterreich-Literaturpreis und Publikumspreis Wartholz 2016. http://www.robertprosser.at/

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Die unabhängige Lesereihe „In guter Nachbarschaft“ gehört zum festen Bestandteil der Thüringer Literaturszene. Sie vereint seit 2014 neue Lyrik und Prosa mit aktueller Musik. Über zahlreiche selbst organisierte Veranstaltungen hinaus wird die Lesereihe von Kulturveranstaltern im gesamten Freistaat als zuverlässiger Partner für anspruchsvolle und unterhaltsame Literatur geschätzt.

Die Lesereihe „In guter Nachbarschaft“ ist ein Projekt der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. und wird unterstützt durch die Thüringer Staatskanzlei.

Rückschau: IN GUTER NACHBARSCHAFT #14

Die 14. Ausgabe von In guter Nachbarschaft liegt hinter uns. Und was sollen wir sagen? Es war mit Sicherheit die anarchischste Ausgabe der Lesereihe seit ihrer Gründung. Daniel Ketteler und sein mit Ernst Wawra betriebenes French-House-Projekt Elektro Willi und Sohn bescherten dem Publikum im Franz Mehlhose in Erfurt einen Abend, den garantiert niemand so schnell vergessen wird.

Ketteler las zunächst einige Passagen aus seinem Roman Grauzone, der die Zuhörer*innen – ganz wörtlich gemeint – aus den Tiefen der Psychiatriegeschichte bis auf ein Kreuzfahrtschiff führt, auf dem Elektro Willi und Sohn als Showband auftreten. Nach kurzer Vorstellung und Einführung in die Figurenkonstellationen des Williversums tauschte Ketteler das Lese- mit dem Gesangsmikro und ließ die Übergänge von Literatur und Musik fließen. Eine Prise kontrollierten Wahnsinns inklusive.

Im Pausengespräch mit Moderator Mario Osterland erklärte der praktizierende Facharzt für Psychiatrie Ketteler, dass die Grenzen zwischen Normalität und Wahnsinn nicht existieren oder zumindest stark ineinder fließen. Eine Erkenntnis, die sich in Kettelers künstlerischem Schaffen spiegelt, in dem sich Literatur und Musik, Zitat und Parodie, Techno und Dada nahtlos verbinden.

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Im zweiten Teil des Abens las Ketteler aus einem noch unveröffentlichten Skript, in dem psychotische Menschen und der illegale Medikamentenhandel am Kottbusser Tor in Berlin im Zentrum stehen. Abgerundet wurde die Show mit den Elektro Willi-Hits Das Knacken in der Rille, Autoscooter und Quel Bordell, bei dem erstmals die legendäre Deborah aus Bielefeld mit auf der Bühne stand. Ein angenehmer Überraschungsgast für Veranstalter und Publikum – und Motivation für Vater und Sohn, die Bühnen der Republik nach langer Pause erneut zu erobern? Nach der Show ließen Ketteler und Wawra jedenfalls durchblicken, dass das „präfinale Konzert“ in Erfurt durchaus auch der Startschuss für ein Elektro Willi-Comeback sein könnte. Wir sind gespannt.

Es bleibt uns nur Danke! zu sagen bei Daniel Ketteler, Elektro Willi (aka Ernst Wawra), Deborah (Soetkin Elbers), Philip, Ralf und dem Team von Franz Mehlhose, sowie der Literarischen Gesellschaft Thüringen und allen Förderern unserer Lesereihe.

Vorgestellt: Daniel Ketteler

Am 4.11. gibt es endlich eine neue Ausgabe von IN GUTER NACHBARSCHAFT. Wir kehren zurück in die Thüringer Landeshauptstadt mit einem Leseabend der besonderen Art. Zu Gast ist diesmal der Berliner Arzt und Schriftsteller Dr. Dr. Daniel Ketteler, der u.a. aus seinem Roman „Grauzone“ lesen wird.

Moderiert wird der Abend von Mario Osterland, der in der Vergangenheit ein Interview mit Ketteler zum Thema „Literatur und Rausch“ führte. Noch immer lesenwert und ein interessanter Vorgeschmack auf den Abend im FRANZ MEHLHOSE.

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„E.T.A. Hoffmanns Werke sind großartig, seine Leberwerte waren es nicht“

Mario Osterland: Als schreibender Mediziner stehst du in einer ziemlich illustren Reihe mit u.a. Schiller, Tschechow, Benn und Döblin. Worin liegt für dich der Reiz dieser Verbindung aus Literatur und Medizin?

Daniel Ketteler: Ja, das ist ein Riesenfeld und natürlich eine Riesen­hypothek für jeden schreibenden Mediziner. Ich denke die Quelle dieser fruchtbaren Allianz ist die Begeg­nung mit Menschen und Schick­salen. Ich bekomme ja jeden Tag mindes­tens einen Roman­plot geschenkt. Naja, sagen wir jede zweite Woche einen guten. Dazu muss man sich hinein­versetzen in alle diese Menschen. Vor allem die Ärzte früherer Gene­ratio­nen hatten noch die Muße und konnten sich Zeit nehmen. Sie hatten auch Zeit für ein gutes Buch, eine Zeitung. Das waren noch richtige Bürger. Im heutigen klinischen Alltag ist wenig Raum für Romantik. Lies mal Irre von Goetz! Aber der Mensch in seiner vergänglichen Pracht prangt immer noch über allem.

Ich schätze vor allem Büchner sehr, der war ja auch Arzt. Aber da eine Linie zu ziehen wäre blasphemisch und vermessen. Döblin mag ich auch sehr, diesen frühen Cut-off. Bei beiden schimmert das Menschen­liebende durch, da gibt es ein echtes Interesse am Schicksal des anderen. Natürlich sind gute Autoren auch immer böse, das hat George Steiner mal gesagt, aber Benn und Celine sind mir da sowohl als Ärzte, wie als Schrift­steller und Wissen­schaft­ler etwas suspekt, da schimmert so etwas ekelhaft elitär-rechts­raunendes hindurch. Durch alle Poren. Das sind die zynischen Ärzte, die, die voller Mitleid und Ekel auf die Aus­schei­dungen blicken. Natürlich auch das unglaub­lich berei­chernd in einem produktiven Sinn, aber ein Bierchen trinken würde ich dann doch lieber mit Georg B. als mit Gottfried B. Wir sind sterblich und das ist doch super so! Stell dir vor, du müsstest zig Millionen Jahre leben. Wie langweilig! Das wäre ein schlim­mes Gefäng­nis. Nur unter Zeitdruck und mit Blick auf die Ver­gäng­lich­keit kann man doch den Ansporn haben, etwas zu schreiben, und die Ärzte sehen ja, je nach Disziplin, jeden Tag, wie schnell es wieder vorbei sein kann.

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Daniel Ketteler (Foto: A. triepa)

M. Osterland: Du hattest 2005 einen Aufsatz in der Kritischen Ausgabe publiziert, in dem es um den Zusammenhang von Drogenkonsum und Kreativität geht. Ist es dir generell ein Anliegen, den meist romantisierten Zusammen­hang von Kunst und Rausch auf wissen­schaft­lichem Niveau zu begegnen?

D. Ketteler: Ja, das war eine Annäherung an das Thema mit wissen­schaft­lichem Anstrich. Aber der strenge Natur­wissen­schaftler würde das sicher anders machen. Ich selbst suche einen Weg zwischen Natur- und Geistes­wissen­schaften. Das geht am besten in einem leicht essayis­tischen Stil. Den klassischen »Journals« behagt das nicht, die wollen die standardisierte Form der Publikation (Abstract, Introduction, Methods, Discussion). Das finde ich teils sehr schade, denn so ist wenig Raum für assoziative, also künstlerisch-kreative Ideen. Kürzlich habe ich noch ein paar Gedanken zum Thema Genie und Wahn. Was ist dran? publiziert. Der Titel ist etwas albern, aber ich wollte den etwas ver­staubten Mythos vom wahnsinnigen Künstler­genie mal auf eine neuronale Substanz und Trag­fähigkeit hin prüfen.

M. Osterland: Mit welchem Ergebnis?

D. Ketteler: Die Neurobiologie und Empirie liefern hier wie so oft nur indirekte Nachweise. Zum einen ist es so, dass sich bei verschiedenen Erkran­kungen des schizo­phrenen Formen­kreises Sprachpathologien finden, die in Kreativ­prozessen, also zum Beispiel bei Gedichten, gezielt genutzt werden; etwa Neolo­gismen, Wort­konta­minationen und ein mani­sches Zungen­reden, Reim­zwänge kommen vor und vieles mehr. Die mensch­liche Sprach­fähig­keit, und hier gehe ich mit dem Psychologen Tim Crow, ist womöglich überhaupt die Grund­lage für die mensch­liche Dispo­sition zur Psychose. In der Psychose wiederum, und dies ist die etwas in Vergessenheit geratene Haupt­erkennt­nis des Begründers des Schizo­phrenie­begrif­fes Eugen Bleuler, fällt vor allem eine asso­ziative Lockerung ins Gewicht; dies vor allem sprachlich, aber auch inhaltsbezogen im Wahn. Das sind alles quasi auto­poe­tische Kon­struk­tionen der mensch­lichen Phantasie, einem Traum nicht unähn­lich. Die Realität wird außer Kraft gesetzt, und nichts anderes machen schließ­lich die Künst­ler. Zu fragen ist deshalb ein­deutig: hängen nicht hier Psychose (Wahn) und Krea­tivität (altmodisch: Genie) eng zusammen?

Reaktiviert man diese etwas vertaubten Thesen, eröffnen sich also womöglich neue alte Ansatz­punkte und etwas wie Psychose wird nicht rein diagnos­tisch ausge­sondert, sondern zählt als mensch­liche Grund­dispo­sition einfach zum Mensch­sein dazu. Die Psychose und Manie als Preis für die Kreativi­täts­funktion und als Quelle der­selben. Ich will diese leid­vollen Krank­heiten nicht verherr­lichen, aber sie aus der unfallhaften Schmuddel­ecke holen. Leo Navratil be­schrieb auch empi­risch den Wandel von psycho­tischen Haus­frauen zu Kreativgeistern. Und auch die familiäre Häufung von Künst­ler­familien mit bi­polaren Erkran­kungen spricht für sich. Naiv ist aktuell die Idee, man schaut mittels bildgebenden Verfahren ins Künstlerhirn. Aber auch so etwas wird unter­nommen und führt vielleicht auch zu Er­kennt­nis­sen. Deduktiv kann man aber auch einfach eins und eins zusammen­zählen.

M. Osterland: Das weicht dann natürlich die Grenzen von »normal« und »verrückt« endgültig auf.

D. Ketteler: Ja genau, diese Grenze ist ohnehin nur eine Schutz­behaup­tung, eine Illusion damit wir alle friedlich schlafen können. Genau wie wir uns fast alle jeden Tag vormachen, ewig zu leben. Jules Angst, ein Ver­treter der Zürcher Schule, hat in Studien ein Konti­nuum von Depression, Manie und Psycho­se an einer riesigen und immer noch laufenden Kohorten­studie eindrucks­voll nach­gewiesen. Die Grenzen selbst der einzelnen Diagnosen sind fließend. Wie sollte es dann zum Gesunden anders sein?

M. Osterland: Ist der Rausch der Schlüssel zur oder gar das Wesen der Kreativität?

D. Ketteler: Das ist eine spannende Frage. Ich würde mich dem aber eher von einer anderen Seite nähern. Ich denke, dass vor allem Zustände der manischen Extase und assoziativen Lockerung, wie man sie bei der bipolaren Disposition (Manie) oder Psychose antrifft, ein Schaufenster zu Kreativ­prozes­sen bieten. Hierzu habe ich auch etwas im psychia­trischen Bereich geforscht, speziell was die assoziative Lockerung anbelangt. Bleuler hatte ein besonderes Augenmerk auf Sprachbesonder­heiten in der Psychose gerichtet. Dies ging in der modernen Diagnostik zunehmend etwas unter. Aber vor allem die Lockerung von zuvor scheinbar fest­geschriebenen Sinn­zu­sammen­hängen ist ein wesent­licher Effekt dichte­rischer Produktion. Durs Grünbein weist auf die EEG-Experim­ente in Njimwegen hin. Dort hatte man Probanden Wortpaa­rungen wie »Katze« und »Hund« präsentiert und eher kleine neuronale Ausschläge fest­gestellt. Bei »Katze« und »Mond« hingegen spielte das Hirn verrückt. Ich denke, dass im Hirn des Ekstatikers genau solche brisanten Neu­schöpfungen und Rekombinationen stattfinden, die sich im Gesunden ein Dichter zunutze macht. Er kann, im Gegensatz zu einem aus den Fugen geratenen Maniker, kontrolliert auf Neuland zugreifen. Der Psycho­tiker und Manier wird hingegen quasi überrannt von seinen Wort­flashs.

Auch Drogen können derartige Kicks sicher gezielt evozieren. Kontrollverlust ist ein Punkt, der Neokortex verliert die Kontrolle und subkortikale, tiefliegende Hirn­strukturen wie die Basalganglien über­nehmen die Kontrolle. Benn hat dies intuitiv geahnt und spricht vom »Auf­rauschen« und auch oft und in Varianten vom Tiefenhirn. Neuronal lassen sich derlei Prozesse heute darstellen. Aller­dings funktioniert die Neuro­wissen­schaft, Benn hat dies ebenfalls beklagt, leider sehr induktiv, kleinschrittig. Dadurch fehlt oft die Drauf­sicht. Sie ist geradezu verpönt, da sie spekulatives Strandgut anspült. Ich selbst denke aber, nur so kann man sich dem Thema konstruktiv nähern.

[Das ganze Interview lesen Sie hier.]

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IN GUTER NACHBARSCHAFT #14

Samstag, 4.11.2017 – 20 Uhr

Franz Mehlhose (Löberstraße 12, Erfurt)

Eintritt: 5,-/3,-€ (nur Abendkasse)

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4.11. – Erfurt – In guter Nachbarschaft #14

Die unabhängige Lesereihe In guter Nachbarschaft kehrt nach Erfurt zurück! Mit dabei ist diesmal der Berliner Arzt, Autor und Musiker Daniel Ketteler. Er liest, unterstützt durch Livebeats von DJ Ernst Wawra (Alphawezen), unter anderem aus seinem Roman Grauzone.

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Samstag, 4.11.2017 – FRANZ MEHLHOSE (Löberstraße 12, Erfurt)

Beginn: 20 Uhr

Eintritt: 5,-/ erm. 3,- € (nur Abendkasse)

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„Es ist ein uralter Menschheitstraum: das Lesen von Gedanken. Es ist ein Glücksversprechen und Alptraum zugleich. Hier wird aus dem Traum Realität. Es ist die Grauzone – ein Elektroenzephalogramm. Hans Berger, Ordinarius für Psychiatrie in Jena, hat ihn geträumt, diesen ambivalenten Traum. Er wollte es lösen, das Menschheitsrätsel, und entwickelte ein Gerät zur elektrophysiologischen Aufzeichnung gedanklicher Aktivität: das noch heute bekannte Elektroenzephalogramm (EEG). …
Daniel Ketteler überträgt die Gedanken Bergers auf seine eigene Endlosrolle, im Beat hektischer Wortamplituden zuckt der Traum Bergers auf, surrt ihm eine schier unglaubliche Geschichte aus dem Schreiber. Hinter den cleanen Hörsälen der Schulpsychiatrie, da gären die alten Chimären weiter, da wurde über der Bergerschen Idee gebrütet. Unmerklich gelang ein Durchbruch: das Lesen von Gedanken, ein Hirnleseapparat.“

Im Anschluss spielen Ketteler und Wawra mit ihrem French-House-Projekt Elektro Willi und Sohn ein exklusives Minikonzert und kündigen damit ihren Abschied an. Sie haben ihren Aachener Waschmaschinenladen verkauft und genießen die Rente mit Hilfe einer Sammlung erlesener französischer Schaumweine. In Erfurt kommen sie nochmal zu einer kleinen präfinalen Show zusammen. So kurz vor dem 40ten, da summt die Drüse, da brummt der Bass. Und vielleicht kommen sogar die tanzenden Zwillinge mit aufs musikalische Trapez.
http://www.elektrowilli.com/

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In guter Nachbarschaft ist ein Projekt der Literarische Gesellschaft Thüringen e.V. und wird durch die Thüringer Staatskanzlei gefördert. Organisiert von Julia Hauck, Peter Neumann und Mario Osterland.
Moderation: Mario Osterland

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In guter Nachbarschaft ist Teil der Initiative Unabhängige Lesereihen: http://lesereihen.org/

Rückschau: In guter Nachbarschaft #11

Liebe Nachbarschaftsfreunde,

am 5.11. haben wir unser Etappenziel erreicht und In guter Nachbarschaft auch nach Erfurt gebracht. Damit ist die Lesereihe nach Jena und Weimar auch in der Landeshauptstadt angekommen. Und wir denken, dass wir tatsächlich vom „Ankommen“ sprechen können. Obwohl wir zum ersten Mal in Erfurt waren, war das Kulturcafé Franz Mehlhose voll. Zusätzliche Stühle mussten getragen werden.

Zu Gast bei der nunmehr elften Ausgabe war der Siegener Autor Crauss, der einen geschlossenen Lesevortrag aus Einzeltexten zusammenstellte. Lyrik und Prosa flossen dabei ebenso ineinander, wie eigene Texte und Übersetzungen und Bearbeitungen von Songtexten der Eurythmics oder Laurie Anderson. Inhaltlich drehte sich dabei alles um die Liebe, das Verlangen, um Sehnsüchte und Orientierungslosigkeit auf dem Weg von der Pubertät zum Erwachsensein. Crauss beendete seine Lesung stehend mit einem leidenschaftlichen Vortrag seines Gedichtes Ich will mehr!, der das Publikum beeindruckte und begeisterte.

(Videolesung von Crauss inkl. Ich will mehr!)

Im zweiten Teil gab es wie immer neue Thüringer Autor*innen zu entdecken, aber auch ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten. Los ging es allerdings mit dem Geraer Matthias Lachmann mit Gedichten u.a. über Freundschaft, Vertrauen und das Verliebtsein. Es folgte Gorch Maltzen aus Weimar (hier vorgestellt), der eine Geschichte über die Gefühlswelt des pubertierenden Simon, dessen geschiedenen Eltern, der Beziehung zu seinem besten Freund und dem Suizid durch das Herabstürzen in Vulkane vorlas. Als dritter im Bunde las Christoph Grosse aus Erfurt die Kurzgeschichte Hunger, welche durch ein Bild von Käthe Kollwitz inspiriert über den Tod und das Sterben einer Familie handelt. Antje Lampe, ebenfalls aus Erfurt, las anschließend die beiden Kurzprosatexte Marie. (Lina lügt.) und Igel Ida, die vom Lügen und der Langeweile sprachen, aber auch vom eigenen Verschwinden. Den Abschluss der Lesenden machte schließlich Patrick Siebert, der in seinen Gedichten humorvoll Ausflüge in die Provinz reflektierte, aber sich auch eindrucksvoll mit der Engstirnigkeit so mancher Stammtischler auseinandersetzte.

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Und was wäre eine Nachbarschaft ohne Musik? Wir haben uns riesig gefreut littlemanlost aus Erfurt bei uns zu haben, der mit seinem sehr persönlichen Americana-Folk das Publikum förmlich in seinen Bann zog. (Eine Phrase, ja – aber sie ist sehr passend.) Mit Banjo, Percussion und Loops kreirte er einen eigenen Sound, der im Ohr, im Kopf, im Herz bleibt. Sein zurückhaltender, intim-familiärer Auftritt erinnerte nicht wenige Beuscher an einen jungen Musiker, der Anfang der 1960er im New Yoker Gaslight Café auftauchte. „Schade, dass er nicht öfter spielt“, hörten wir einige sagen. „Ja, aber immerhin hat er den Nobelpreis bekommen.“ 😉

Bleibt uns nur „Danke!“ zu sagen bei allen Besuchern, den Künstlern und dem Team von Franz Mehlhose („It’s a match!“). Es war ein phänomenaler Einstand in Erfurt. 2017 geht unsere Lesereihe weiter. Wir haben eine Menge vor. Ihr dürft gespannt sein.

In guter Nachbarschaft #11 – mit Musik von littlemanlost

Eine Nachbarschaft ohne gute Musik ist für uns nicht vorstellbar. Darum freuen wir uns sehr für unsere erste Veranstaltung in Erfurt einen großartigen Musiker aus der Landeshauptstadt zu Gast zu haben: littlemanlost!

littlemanlost

„Eine Stimme, eine Gitarre, eine Beatbox, ein Omnichord, Loops und andere Dinge. Inspiriert von Eis & Kummer, Feuer & Sehnsucht, vom Meer und der Sinnlosigkeit. Musikalisch beeinflusst von afroamerikanischen Gefängnisliedern bis hin zu modernem Elektro. Aufgenommen in einem Schlafzimmer mit Hilfe kleiner Maschinen.“

littlemanlost vereint klassischen Americana-Folk mit elektronischen Experimenten und kreiert so eine „Folktronica“ für die Weite der Straßen und Felder, für die Intimität von kleinen Clubs und Wohnzimmern. Genau richtig also für das Kulturcafé Franz Mehlhose.


IN GUTER NACHBARSCHAFT #11

5.11.2016 – 20 Uhr

Franz Mehlhose (Löberstraße 12) in Erfurt

mit Crauss

littlemanlost

und Gästen am offenen Mikrofon

Eintritt: nur 3,- € (Abendkasse)

 

Wer oder was ist Franz Mehlhose?

Am 5.11. wird die Lesereihe IN GUTER NACHBARSCHAFT zum ersten Mal in Erfurt zu Gast sein. Wir freuen uns sehr mit dem Franz Mehlhose eine erstklassige und sehr interessante Location in der Landeshauptstadt gefunden zu haben. Doch wer oder was ist eigentlich diese/r Franz Mehlhose?

Dieser kleine Film aus dem Jahr 2012 gibt einen kleinen Einblick in die Geschichte von „Franz Mehlhose’s Restaurant und Gartenlokal“ das 1911 zum ersten Mal eröffnete und stellt die heutigen Betreiber Ralf und Philip Neues vor. Inzwischen haben die beiden Franz Mehlhose mit einem vielseitigen Programm zu einer kulturellen Institution in Erfurt gemacht.


IN GUTER NACHBARSCHAFT #11

5.11.2016 – 20 Uhr

Franz Mehlhose (Löberstraße 12) in Erfurt

mit Crauss

littlemanlost

und Gästen am offenen Mikrofon

Eintritt: nur 3,- € (Abendkasse)