12.10. – Frankfurt am Main – „Was ich verschwieg ist diese Landschaft“ – Neue Lyrik und Prosa

Am 12.10.2018 finden im Rahmen der Frankfurt Buchmesse verschiedene Lesungen unter dem Titel Was ich verschwieg ist diese Landschaft – Neue Lyrik und Prosa am Gemeinschaftsstand des Freistaats Thüringen statt.

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Gemeinschaftsstand des Freistaat Thüringen – Halle 3.1 / Stand F65

11:00 – 11.45 Lennardt Loß und Romina Nikolic
13:00 – 13:45 Mirandolina Babunashvili und Joshua Schößler
15:00 – 15:45 Peter Neumann und Kinga Tóth
17:00 – 17:45 Crauss und Andra Schwarz

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Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2018 stellen sich acht Schriftsteller*innen in Lesung und Gespräch vor, die in Thüringen leben oder durch ihre enge Zusammenarbeit mit der Lesereihe In guter Nachbarschaft mit dem literarischen Leben im Freistaat verbunden sind. Die Autor*innen lesen aus ihren aktuellen Veröffentlichungen und teilweise noch unpublizierten Werken und geben so einen Einblick in ihr aktuelles Schaffen. Darüber hinaus diskutiert der Erfurter Autor und Moderator Mario Osterland mit den Lesenden u.a. über die Möglichkeiten der Literatur im 21. Jahrhundert, über deren politische und gesellschaftliche Relevanz, sowie ihre Anerkennung auch über die Buchbranche hinaus.

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MIRANDOLINA BABUNASHVILI, geb. 1996 in Kaiserslautern, wuchs in Darmstadt auf und studierte von 2015 bis 2018 Internationale Beziehungen und Sozialwissenschaften an der Universität Erfurt. 2017 war sie Teilnehmerin am Literaturlabor Wolfenbüttel. 2018 wurde sie u.a. mit dem hr2-Literaturpreis ausgezeichnet.

CRAUSS, geb. 1971, ist im hauptleben dichter, daneben dozent für sprachpraxis an der universität siegen. er wurde mitte der 1990er jahre durch neue, produktive verfahren einer videoclip-ästhetik in der lyrik einem breiteren publikum bekannt. Crauss wurde mit wichtigen stipendien gefördert, mit literaturpreisen ausgezeichnet und seine dichtung in die 10+ wichtigsten sprachen der welt übersetzt. Zuletzt erschien von ihm der Gedichtband „Die harte Seite des Himmels“ (Verlagshaus Berlin) und der Essayband „Schundfaktor“ (Verlag Dreiviertelhaus). http://crauss.de/

LENNARDT LOSS, geb. 1992 in Braunschweig, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Jena und Frankfurt am Main. Seit 2017 arbeitet er als freier Autor der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er war in diesem Jahr Teilnehmer beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. Sein Debüt erscheint im Frühjahr 2019 im Weissbooks Verlag.

PETER NEUMANN, geb. 1987 in Neubrandenburg, lebt als freier Schriftsteller in Weimar und lehrt Philosophie mit Schwerpunkt Deutscher Idealismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2018 wurde er mit dem Thüringer Literaturstipendium Harald Gerlach ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm der Gedichtband „areale & tage“ in der edition AZUR und das Sachbuch „Jena 1800 – Die Republik der freien Geister“ (Siedler Verlag).

ROMINA NIKOLIC, geb. 1985 in Suhl. Sie studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Jena. Derzeit arbeitet sie an ihrer Dissertation zum Werk Paulus Böhmers an der TU Braunschweig. Sie war zweimal Preisträgerin des Jungen Literaturforums Hessen-Thüringen und erhielt das Walter-Dexel-Stipendium der Stadt Jena.

JOSHUA SCHÖßLER, geb. 1992 in Düsseldorf, studierte Philosophie und Germanistische Literaturwissenschaft in Jena, lebt derzeit in Offenbach. 2017 gewann er u.a. den hr2-Literaturpreis. http://www.skklnt.wordpress.com

ANDRA SCHWARZ, geb. 1982 in der Oberlausitz, lebt in Leipzig. Nach einer Instrumentalausbildung in klassischer Gitarre am Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar und einem längeren Aufenthalt in Südafrika studierte sie Kunstgeschichte und Germanistische Literaturwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle. Später folgte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2017 gewann sie den Leonce-und-Lena Preis beim 20. Literarischen März in Darmstadt. Im Herbst 2017 erschien ihr Debüt „Am morgen sind wir aus glas“ (Poetenladen).

KINGA TÓTH, geb. 1983 in Sarvar/Ungarn, ist u.a. Sprachwissenschaftlerin und Sound-Poetin. Sie ist aktives Mitglied in verschiedenen Kulturverbänden, darunter dem József Attila Kör. Sie schreib auf Englisch, Deutsch und Ungarisch und ist besonders für ihre Live-Performances bekannt. 2016 war sie Jenaer Stadtschreiberin (Rosenthal-Stipendium), derzeit ist sie Stipendiatin der Stadt Graz. Auf deutsch erschien von ihr zuletzt der Gedichtband „Wir bauen eine Stadt“ (Parasitenpresse).

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Die Veranstaltung wird gefördert durch das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft & Digitale Gesellschaft.

Bücherschau im Frühjahr 2018 – Teil 1

In diesem Frühjahr erscheint gleich eine Reihe von Büchern von Autorinnen und Autoren, die in der Vergangenheit zu Gast „In guter Nachbarschaft“ waren. In den kommenden Tagen stellen wir euch diese Neuerscheinungen hier kurz vor.

Lisa-Viktoria Niederberger war im April 2016 zu Gast bei der Wohnzimmerlesung Kunststück II, die wir in Kooperation mit dem Literaturfestival Erfurt organisierten. Ihr Debut Misteln, das drei Erzählungen versammelt erscheint jetzt in der Salzburger edition mosaik (siehe auch watch us grow, Feb. 2017).

Dass man dich immer vor den Venusfliegenfallen trifft, sagst du und drückst mir deine kalten Finger unter der Jacke ins Kreuz und ein trockenes Bussi auf die Haare. Dass das was heißt, dass das zu mir passt, dieses schöne Äußere und innen irgendwie gefährlich. Mich stören solche Analogien und das weißt du auch.
(Auszug aus Misteln)

Der Verlag über das Buch:

Misteln: Liebessymbol oder halbparasitische Aufsitzerpflanzen? Lisa-Viktoria Niederberger entwirft in ihrem Erzählband ein schonungslos-ungeschöntes Beziehungsbild von Menschen, die offenen Fragen gegenüberstehen und nach Antworten suchen. Ihre Figuren bewegen sich dabei zwischen moralischer Zerrissenheit und impulsivem Handeln. Die Autorin erschafft eine poetische Umgangssprache, in der sich das Österreichische manifestiert und thematisiert gleichzeitig unaussprechlich geglaubte Themen mit überraschender Leichtigkeit.

Gleichzeit erscheint im März die 25. Ausgabe des Mosaik Magazins, in dem u.a. neue Gedichte von Kinga Tóth zu finden. Außerdem gibt Nachbarschaftskurator Mario Osterland in der Rubrik „Kreativraum“ Auskunft über seine Methodik des Schreibens.

Buch und Magazin sind auf den Seiten von mosaik erhältlich. 

Lisa-Viktoria Niederberger liest am 17. März gemeinsam mit Franziska Füchsel im Rahmen der Leipziger Buchmesse hier:

Rückschau: watch us grow.

Am 18.2.2017 schlossen sich insgesamt fünf Kulturinitiativen zusammen, für einen gemeinsamen und vor allem vielfältigen Literaturabend in Erfurt; mit Lesungen, Performances und Musik. Die Idee dahinter: fünf Veranstalter lassen fünf Autoren für sich sprechen. Mit dabei waren das hEFt, das HANT – Magazin für Fotografie, der Litart Thüringen e.V. (Literaturfestival Erfurt), unsere Lesereihe In guter Nachbarschaft – und als Gäste unsere Freunde von mosaik – Zeitschrift für Literatur und Kultur aus Salzburg.

Ein Abend, der die Vielfalt und den Pluralismus einer freien Kultur- und Literaturszene abbilden möchte, braucht natürlich einen passenden Veranstaltungsort. Wir haben uns sehr gefreut, bei FRAU KORTE im Nordbahnhof zu Gast sein zu dürfen!

Nach einer kurzen Einführung durch die Moderatoren eröffnete die Kieler Autorin Franziska Ostermann, auf Einladung vom HANT-Magazin, den Abend. Ihr Langgedicht „Der Mückentod“ war eine poetische Wahrnehmungsfolge, in der das Publikum der Protagonistin Aurie durch einen Sommertag am Wasser folgte.

Es folgte die gebürtige Erfurterin Franziska Wilhelm, hEFt-Autorin der ersten Stunde, die bereits als Romancière auf sich aufmerksam machte und fester Bestandteil der Lesebühne Schkeuditzer Kreuz in Leipzig ist. In ihren Texten huldigte sie leidenschaftlich und augenzwinkernd dem Dresdner Autor Michael Bittner und spürte der Orientierungslosigkeit der Nach-Wendejahre im Erfurter Plattenbau nach.

Bevor es in die Pause ging, setzte sich Kinga Tóth auf Einladung unserer Lesereihe hinters Mikrofon. Die ungarische Soundpoetin, die bereits im letzten Jahr bei der „Summer Edition“ in Jena bleibenden Eindruck hinterließ, las und performte aus ihrem aktuellen Gedichtband Wir bauen eine Stadt. Dazu mischte sie die Texte mit einer Geräuschkulisse aus Gesang, Knister- und Klopfgeräuschen, die sie live mit einer Loop-Station wiedergab.

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Nach der Pause eröffnete Josef Kirchner den zweiten Teil des Abends und stellte kurz das in Salzburg beheimatete Label mosaik vor, das mittlerweile nicht mehr nur als Zeitschrift, sondern auch als Verlag und Veranstalter in Erscheinung tritt. Für mosaik las die Augsburgerin Alke Stachler aus ihrem Buch Dünner Ort poetische Prosaminiaturen. Aufmerksam folge das Publikum den sorgsam gesetzten Worten und Wendungen, die einen gefühlvollen und überzeugenden Ich-Du-Dialog erzeugten.

Zuletzt trat der Musiker und Schauspieler Michael Donth ans Mikro. Er las und sang auf Einladung des Litart Thüringen e.V. eine Cut-Collage aus Arno Schmidts Aus dem Leben eines Fauns. „Die Sache ist nicht unkompliziert“, gab er zu. Dennoch bedurfte es weder bei ihm noch beim Publikum einer Anlaufzeit, um sofort in den Text hineingezogen zu werden. Begeistert folgte das Publikum u.a. den Schmidtschen Lobpreisungen Wielands – ebenso wie den unterhaltsamen Schmähungen Goethes. Kein Wunder, dass im sehr gut besuchten FRAU KORTE der Abend mit viel Applaus endete.

Zu den zahlreichen anschließenden Gesprächen über Literatur und das Kulturschaffen in und außerhalb Thüringens ließ DJ Holm J∅rgensen mit chilltem Elektro und House die Köpfe zufrieden nicken.

In guter Nachbarschaft sagt im Namen aller Beteiligten „Vielen Dank!“ an die Autoren, FRAU KORTE und das Publikum.

18.2. – Erfurt – watch us grow.

Watch us grow. Literatur + Musik + freie Szene.

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Samstag, 18. Februar 2017 

Frau Korte (Nordbahnhof, Magdeburger Allee 179, 99086 Erfurt)

Einlass: 19 Uhr
Beginn: 20 Uhr

Eintritt: 3,- €

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Als gemeinsamer Auftakt für ein neues Jahr der Zusammenarbeit und Freundschaft treten WIR – In guter Nachbarschaft, Literaturfestival Erfurt, hEFt, HANT – Magazin für Fotografie – offen in Dialog miteinander und lassen, in gewohnter Manier, Literatur für uns sprechen, der Syntax ihr Spiel und dem Abend seinen Lauf.

Vier unabhängige Thüringer Initiativen für Literatur, Photographie, Kunst und Alltag treten geschlossen und vor allem entschieden auf und trotzen bei Frau Korte im Nordbahnhof dem Wetter. Was das heißt? Ganz einfach: Vier Schriftsteller*innen treffen aufeinander, geben & nehmen sich das Wort und machen dadurch vor allem deutlich, dass Literatur und Erfurt sich keineswegs ausschließen.

Mit dabei sind: Kinga Tóth, Franziska Wilhelm, Franziska Ostermann und Michael Donth liest Arno Schmidt!

AUSSERDEM AUS SALZBURG ZU GAST: mosaik – Zeitschrift für Literatur und Kultur mit der Autorin Alke Stachler.

Danach: DJ Holm Jørgensen

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Rückschau: In guter Nachbarschaft – XMAS Edition

Am 16. Dezember 2016 fand im Jenaer Atelier Merle Stankowski die kleine In guter Nachbarschaft – XMAS Edition statt. Dabei hielt Ralf Schönfelder eine kleine einführende Laudatio auf die Lesereihe und gleichzeitig einen Abgesang auf das Jahr 2016. Peter Neumann und Mario Osterland ließen danach das Nachbarschaftsjahr in einer Art best of-Lesung Revue passieren. Dabei wurden Texte aller 2016 eingeladenen Autor*innen, Domink Dombrowski, Anja Kampmann, Christoph Wenzel, Björn Kuhligk und Crauss, gelesen. Kinga Tóth wurde nicht vergessen, sondern per Videostream live aus Lübeck zugeschaltet! Sie las aus ihrem aktuellen Buch Wir bauen eine Stadt.

Im zweiten Teil des Abends haben Neumann und Osterland eigene Texte gelesen, die teilweise mit Grafiken des Geraer Künstlers Alexander Neugebauer illustriert wurden.

Für den passenden musikalischen Rahmen des intimen Abends sorgten Robert Wenzl und seine Band, mit Songs in bester Singer/Songwriter-Manier.

Zum Ende des Jahres sagen wir DANKE! an alle, die die Nachbarschaft 2016 zu dem gemacht haben, was sie war – ein voller Erfolg! Danke an alle Autor*innen und Lesenden am offenen Mikrofon, an die Galerie Iconotop in Weimar, Franz Mehlhose in Erfurt, Merle Stansowki in Jena, an die Literarische Gesellschaft Thüringen e.V., die Thüringer Staatskanzlei, den LeseZeichen e.V. und alle Sponsoren und Förderer.

Tausend Dank natürlich und vor allem an unser wunderbares Publikum! Wir sehen uns 2017 wieder. Euch und Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest, guten Rutsch und alles Gute für’s neue Jahr.

Ein Freundschaftsbuch – Paulus Böhmer zum 80.

Am 20. September feierte der Schriftsteller Paulus Böhmer seinen 80. Geburtstag. zu diesem Anlass erschien eine bemerkenswerte Anthologie, die die Herausgeber Jan Volker Röhnert und Romina Nikolić, Mitbegründerin von In guter Nachbarschaft, als Freundschaftsbuch verstanden wissen wollen. Unter den versammelten Autoren, „Freunde fürs Leben, Freunde fürs Schreiben, wie sie kein Facebook-Algorithmus generieren könnte“, befinden sich auch einige Thüringer bzw. mit Thüringen eng verbundene Autoren. Die ehemalige Jenaer Stadtschreiberin Kinga Tóth, ebenso wie ihr noch amtierender Nachfolger Tom Schulz, Ron Winkler, Nancy Hünger, sowie mit Moritz Gause und Peter Neumann ein ehemaliger und ein gegenwärtiger Veranstalter unserer Lesereihe.

Zusammen mit zahlreichen anderen Autoren gratulieren sie Böhmer in Text, Bild und Collage, mit Bezug auf sein Werk und persönliche Begegnungen. Die meisten der Beiträge gehen dabei weit über eine bloße Hommage hinaus, was diesen Band nicht nur zur Würdigung eines einzigartigen Dichters macht, sondern auch den Ideenreichtum und die Formenvielfalt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur abbildet.

Am 5.12. um 15 Uhr ist Romina Nikolić zu Gast in der Sendung Blaubart & Ginster – Eine Stunde Literatur im OKJ. Dort wird sie u.a. über die Herausgeberschaft des Buches, über Paulus Böhmer und ihre eigene literarische Arbeit sprechen. [Die Sendung wird später auch als Podcast abrufbar sein.]

DEM MEISTER DES LANGEN ATEMS. Paulus Böhmer zu Ehren. Herausgegeben von Jan Volker Röhnert und Romina Nikolić. Edition Faust: Frankfurt/Main, 2016. ISBN: 978-3-945400-36-4.

Kinga Tóth: Wir bauen eine Stadt — parasitenpresse

Das neue Buch von Kinga Tóth ist da! Wir freuen uns mit ihr und der parasitenpresse. 🙂

Die Gedichte von Kinga Tóth sind Texte, in denen Sprache die wahre Bauherrin ist. Sprache, die ihre Bausteine überall aufsammelt und zu einem geschlechtslosen Mensch-Maschine-Artefakt zusammenbaut. Menschen werden darin roh zu Maschinen verformt. Werkzeuge, Instrumente werden körperlich, menschlich, ändern ihr grammatikalisches Geschlecht. Maschinensprache, Sprache aus technischen Übersetzungen und Bedienungsanleitungen oder Forschungsliteratur fließt ein, dominiert. Die […]

über Kinga Tóth: Wir bauen eine Stadt — parasitenpresse

SUMMER EDITION Nachlese: Kinga Tóth

die Elbe

 

die frau ein seepferd der schenkel über ihrer schulter

ein fisch eine welle über eine meerjungfrau ist die Elbe

klänge aus dem orgelpfeifengrund

durch ihren mund gleichzeitig hinaus

atmend die luft

 

ihr körper durchbohrt für den gesang

orgelpfeifen herausgezogen atmet sie

luft durch den mund aus und

an neuen stellen auf ihrer oberfläche

angebrachte pfeifen durch enge spalten

singen aus ihrer brust

=Mensch=Erwartung=Funktion=Maschine=

Funktionsweisen, Erwartungshaltungen und Erwartungshaltungen an das Funktionieren von Körpern und Maschinen spielen eine zentrale Rolle in Kinga Tóths Gedichtband ALLMASCHINE. Mit kühlem, distanzierten Blick und einer reduzierten, fast mechanischen Sprache beschreibt sie das Spannungsfeld zwischen Mensch und Technik, das seit der klassischen Moderne zum thematischen Kanon der Avantgarde gehört. Diese Traditionslinie ist den Texten nicht fest eingeschrieben, lässt sich jedoch mit ein paar Gedanken an Paul Klee oder Marcel Duchamp assoziativ herstellen, ohne dass Tóths Gedichte an Eigenwert verlieren. Die auf den ersten Blick stark deskriptiv wirkenden Texte offenbaren beim Wieder- und Wiederlesen die kritische Haltung, die mit der mechanischen Abfolge der Worte verbunden ist.

Tóths Personifizierung der Elbe etwa ist einerseits die eines skulpturalen, mythisch aufgeladenen Fabelwesens mit Dekofunktion. Andererseits ist sie ein cyborgähnliches Unterhaltungsinstrument, dass unter völliger Missachtung des Körpers zur qualvollen Attraktion „umgestaltet“ wird. Ähnlich ergeht es der Braut im archaisch-patriarchalen Korsett der Riten. Der weiße Schleier verhüllt den Körper, an den spätestens nach der prächtigen Hochzeitsfeier Erwartungen aus Pflicht und Funktion herangetragen werden. Als gejagtes Objekt kommt sie schließlich verwundet auf einem Eisbärenfell zum erliegen.

mo

braut

 

weiß war gar ihr schleier

als sie hereingeführt wurde

in das zimmer alles war weiß

ihre schleppe blieb hängen

an den holzdielen den aufgemalten

nägeln riss ab die puppenhaare nicht die haut

im feierlichen zimmer quartiert

sich ein die unberührte hier wartet sie

dass es klopft solange

in den schleier gewickelt die scham

mit puder betäubt mit honig

zusammengeklebt

 

dass es bricht dass es eine ehre werde

wartet auch das krachen im becken

samen muss in den körper gestopft werden

reiner samen sonst sterben wir aus

auf einem eisbärenfell

wartet sie auf das bluten

weiß besiegelt mit der scham

mit puder bestäubt mit honig

zusammengeklebt

 

Kinga Tóth – ALLMASCHINE. Gedichte. Ungarisch und deutsch. Aus dem Ungarischen von Orsolya Kalász und Monika Rinck. Edition Solitude: Stuttgart, 2014. (128 Seiten, 15,-€, ISBN: 978-3-937158-80-8)

Auch interessant: Eva Heissler über ALLMASCHINE im Asymptote Journal [english]

Rückschau: In guter Nachbarschaft – SUMMER EDITION (1/2)

Liebe Nachbarschaftsfreunde,

die SUMMER EDITION liegt hinter uns. Und alle Beteiligten und Besucher werden sich gern daran zurückerinnern. Hier kommt Teil 1 unseres kleinen Berichts mit vielen Eindrücken von einem rundum gelungenen Literatursommerfest.

Los ging es bereits am späten Nachmittag mit der Lesung ausgewählter Preisträger*innen des Jungen Literaturforums Hessen-Thüringen. Dabei trug die Wiesbadenerin Manon Hopf ihren prämierten Text Brombeeren, gemauert vor. Mit ihrem ruhigen, eindringlichen Vortrag versetzte sie das Publikum gleich zu Beginn in sehr aufmerksame Stimmung. Diese schlug jedoch nicht in einlullende Gemütlichkeit um, denn Lennardt Loß hatte die mitreißende short story Russischer Tango im Gepäck. Mit leidenschaftlicher Stimme erzählte er aus dem Boxermilieu der DDR, was ihm Lacher, Anerkennung und viel Applaus bescherte.

Mit Gedichten und kurzer Prosa ging es weiter. Robert Wenzl, der neben seiner Arbeit als Autor auch als Singer/Songwriter aktiv ist, trug melancholisch-sensible Texte vor, die die Metapher nicht scheuen und dennoch meilenweit vom Kitsch entfernt sind. Elisa Wächtershäuser bildete mit ihrer Kurzgeschichte Die Tiere schlafen den Abschluss des ersten Leseblocks. Die Absolventin u.a. des Klagenfurter Literaturkurses, überzeugte mit ihrem souveränen Vortrag und einem Text, der keinen Zweifel an ihrem erzählerischen Talent ließ.

Im zweiten Teil der SUMMER EDITION resümierte die ungarische Autorin Kinga Tóth ihre Zeit als Jenaer Stadtschreiberin. In einem offenen Gespräch mit Moderator Mario Osterland stellt sie die Projekte vor, an denen sie in der Saalestadt gearbeitet hat und gab einen Einblick in die Entstehungsprozesse ihrer Werke. Dabei trug sie zunächst einige Gedichte vor, die auf relativ klassische Weise Eindrücke und Beobachtungen in der neuen Umgebung reflektieren. Allerdings war gleich zu bemerken, dass Tóth kein Interesse an einer sentimentalen Erlebnislyrik hat. Vielmehr ist ihre Sprache bewusst nüchtern, kühl und fast technisch gehalten, womit sie an die Traditionslinien deutschsprachiger Avantgarde-Dichtung anknüpft. Bewegungen, die es in der ungarischen Literatur in dieser Vielfalt nicht gegeben hat, wie Tóth erklärte.

Ihre experimentelle Denk- und Arbeitsweise illustrierte die Autorin zudem mit einem Tagebuch aus gebrauchten Kaffeefiltern, auf die sie mit einer Schreibmaschine Fehler und Schwierigkeiten notierte, die sie mit der deutschen Sprache hat. Später soll daraus eine Textinstallation entstehen.

Schließlich drehte sich das Gespräch verstärkt um das Projekt Mondgesichter, in dem Tóth sich intensiv mit verschiedenen Krankheiten auseinandersetzt. Diese begreift die Autorin nicht zwingend als Makel oder Fehlfunktionen, sondern als Entwicklungsstufen, Prozesse und Variationen des menschlichen Körpers. Die Bearbeitung dieses komplexen, mitunter sensiblen Themas geht die Autorin mit einer für sie typischen Verflechtung aus Text, Sounds und Visualisierungen an. In einer beeindruckenden Performance, unterstützt durch Video-, Text- und Grafikprojektionen sowie einer Loop-Station, gab sie dem Publikum Einblick in das Mondgesichter-Projekt und unterstrich ihren Status als außergewöhnliche Visual-Sound-Poetin und Performerin.

 

4.7. – Blaubart & Ginster – Eine Stunde Literatur im Offenen Kanal Jena

Blaubart & Ginster? – Ist das ein Szenelokal für serienmordende Pazifisten? Ein exzentrischer Barbershop? Kann man das rauchen?
So ähnlich: Bei Blaubart & Ginster läuft eine Stunde lang Literatur und Musik auf Radio OKJ. Ralf Schönfelder und Mario Osterland, co-Organisator von „In guter Nachbarschaft“, laden Autoren ins Studio ein, um ihre Texte zu hören, über Bücher und die literarische Szene zu plaudern und die Lieblingsmusik der Gäste zu spielen.

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Mario Osterland und Ralf Schönfelder präsentieren monatlich die Literatursendung „Blaubart & Ginster“ im Radio OKJ.

Von Ungarischem Punkrock bis zu Lambada!
Zu Gast in der Ursendung von Blaubart & Ginster ist die Jenaer Stadtschreiberin Kinga Tóth. Sie liest aus ihren Gedichten über Körper und Maschinen, erklärt, warum Häuserwände die Haut einer Stadt sind und berichtet vom schwierigen Stand der ungarischen Literatur und ihrer Arbeit bei der József Attila Kör in einem Land, das sich politisch radikalisiert.

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Die Sound-Poetin Kinga Tóth ist der erste Gast bei „Blaubart & Ginster“ (Foto: Richard Lutzbauer)

Die erste Sendung läuft am Montag, dem 4. Juli um 15:00 Uhr bei Radio OKJ. Radio OKJ hört Ihr in Jena und Umgebung auf UKW 103,4 MHz und im Kabel auf 107,90 MHz. Außerdem weltweit im Internet als Live-Stream auf http://radio-okj.de/.