Beau Baum im Interview

IN GUTER NACHBARSCHAFT #26 wurde am 20. April ’21 im Radio Lotte Weimar ausgestrahlt und ist nun als Podcast abrufbar. Mit dabei ist Beau Baum mit einer Lesung von Gedichten und Kurzprosa. Wir haben ihn interviewt.

Beau Baum, Foto: Beau Baum
Beau Baum, Foto: Beau Baum

Deine Gedichte spielen mit Erinnerungen, es geht um das Erwachsenwerden und die Schwierigkeit, sich in der Welt Zuhause zu fühlen, einen passenden Ort zu finden – würdest du da zustimmen? Welche Themen bearbeitest du?

Ich halte das schon für eine richtige Einordnung. Bilder, die ich auch oft bei mir erwische, sind die von verfallenen Industrieruinen und zurückkommender Natur, alles hat so einen leichten Ost-Provinz-Einfluss. Ich wollte nie eine Person sein, die die ganze Zeit nur aus sich selbst schöpft, aber in meinen Texten dreht es sich gerade oft um Sachen, die mich irgendwie beschäftigen. Wenn ich dann mal erwachsen geworden bin – falls das überhaupt möglich ist – und einen Platz in der Welt gefunden habe, ändert sich meine Perspektive bestimmt. Aber bisher möchte ich meine Verletzlichkeit zugänglich machen, die kleinen Momente festhalten, meine Gedanken ordnen.

Deine Texte sind sehr persönlich. In „August, Leipzig nach Hildesheim“ sehen wir dich im Zug sitzen – sind es solche Momente, in denen du schreibst? Wie ist deine Arbeitsweise?

Ja, tatsächlich schreibe ich im Zug am allerbesten! Leider ging das im letzten Jahr nicht sooft. Ich würde gerne sagen, dass ich mich regelmäßig hinsetze und schreibe, aber das wäre schlicht gelogen.  Meistens schreibe ich, wenn ich irgendetwas besonders Starkes empfinde, das ich verarbeiten möchte. Ich würde es nicht mal Inspiration nennen, manchmal schreibe ich auch, wenn ich wahnsinnig wütend bin und nicht weiß, wo hin damit. Statt Boxsack haue ich dann in die Tasten. Manchmal kommt was dabei raus. Ein Großteil von dem, was ich produziere, ist Schrott, ich versuche sehr viel zu schreiben und dann die Sachen, die irgendwie Sinn ergeben, herauszufischen.

Du hast viele Preise gewonnen: Seit 2014 mehrmals beim Eobanus-Hessus-Schreibwettbewerb, 2018 beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen und dem Treffen junger Autor*innen in Berlin. Du beschäftigst dich auch im Studium mit Literatur. Wolltest du schon immer schreiben?

Ja, schon seit ich sehr klein war. Aber dafür mache ich es eigentlich gerade zu wenig, ich konzentriere mich auch in meinem Studium eher auf andere Kunstformen, Dokumentarfilm, Videospiele, Theater – Literatur ist da ein Nebenfach. Schreiben bildet aber meinen Zugang zu den ganzen anderen Themen. Deswegen verlässt es mich nie so richtig. Wenn ich die ganze Zeit schreiben und mich mit meinem eigenen Schreiben beschäftigen würde, könnte ich mich definitiv bald nicht mehr ausstehen.

Du schreibst Lyrik und Kurzprosa, hast aber auch schon fürs Theater gearbeitet. Inzwischen studierst du Medien, Theater und Literatur in Hildesheim – und momentan in Paris – und arbeitest interdisziplinär, filmisch und machst „diverse Arten von Kunst“. Welche Ausdrucksweisen reizen dich, und warum?

Das ist schwer zu beantworten, ich probiere so rum und nehme, was kommt. Es ist nicht so, dass ich schon meine Form gefunden habe. Mich reizt der Gedanke von Dokumentation, ich mache gerne Dokumentarfilm, dokumentiere mit Texten mein eigenes Herumleben in der Welt. Mich reizt aber auch enorm das Potential von Game Design – wie es möglich ist, eine spielende Person durch eine Welt zu leiten, ohne dass die Person überhaupt merkt, dass sie geleitet wird. Einfach eine Welt schaffen – oder bei Texten dann eine Gedankenwelt – und diese zugänglich machen.

Hildesheim ist eine von drei Universitäten in Deutschland, die Kreatives Schreiben als Studiengang anbieten. Hat sich dein Zugang zu Literatur während des Studiums verändert?

Die Frage zielt gefühlt auf ein Ja, aber ich muss sagen – wenn es ums kreative Schreiben geht, eher nicht (allerdings habe ich mich ja wirklich nicht viel damit beschäftigt). Wissenschaftliche Texte haben sich mir allerdings viel stärker erschlossen, dafür ist das Studium vielleicht auch so ein bisschen da.

Wir steuern in Deutschland auf den dritten Lockdown zu. Deshalb als letzte Frage: Was liest du gerade? Welche Bücher würden dich in die Quarantäne begleiten?

In meinen letzten Tagen in Paris verschlang ich einen absolut fantastischen Roman innerhalb von vierundzwanzig Stunden, ist eigentlich nicht mein Stil: The City & The City von China Miéville. Würde ich allen Menschen empfehlen, die Krimis mögen und richtig in die Atmosphäre einer fiktionalen osteuropäischen Stadt eintauchen wollen (oder mehr als einer). Werde also noch mehr von diesem Autor lesen in nächster Zeit. Gerade lese ich noch Gender Outlaws von Kate Bornstein, einer us-amerikanischen trans Aktivistin, ein älterer, aber sehr liebevoller, humorvoller Text. Und ich bin auch endlich dabei On Earth We’re Briefly Gorgeous von Ocean Vuong zu lesen. Sonst bin ich gerade wieder im Semester, also viele akademische Texte.

Vielen Dank für das Interview!

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IN GUTER NACHBARSCHAFT #26 nachhören:
Youtube https://youtu.be/8PjVO9hTkdQ

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Beau Baum, geboren 1999 in Gotha, verbringt seine Zeit mit Studieren in Hildesheim (Medien, Theater und Literatur) und damit, diverse Arten von Kunst machen. Veröffentlicht wurde er schon – unter anderem Namen – beispielsweise in der Anthologie des Treffen junger AutorInnen 2018 oder im konkursbuch Tod 2020. Momentan studiert er – trotz Pandemie – in Paris und konzentriert sich auf den eher filmischen Teil seines Studiums. Er hofft, in Zukunft noch ein paar mehr Dinge zu erleben oder zu veröffentlichen, die sich in solchen biografischen Angaben erwähnen lasen. Seine Themen, sowohl akademisch, als auch literarisch, als auch gelebt, kreisen gerade um die Komplexe Identität, Dokumentieren, Videospiel und Queerness.

„seit monaten das erste gedicht, ein aufgeräumter computer, eigene lektüre statt durch jobs verordnete.“

Die COVID19-Pandemie stellt viele Menschen innerhalb der Kulturlandschaft und weit darüber hinaus vor ungewisse Wochen und Monate. Auch wir wissen noch nicht wann es mit In guter Nachbarschaft weitergehen wird. Wir haben uns dazu entschlossen die Wartezeit damit zu überbrücken einige Künstler:innen unserer vergangenen Veranstaltungen zu befragen, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen.

Der Siegener Dichter Crauss war im November 2016 zu Gast bei In guter Nachbarschaft #11 in Erfurt.

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Crauss. (Foto: Crauss)

Lieber Crauss, wie geht’s dir derzeit?

bis auf einen etwas rebellischen weisheitszahn bin ich gesund und durchaus auch produktiv. seit monaten das erste gedicht, ein aufgeräumter computer, eigene lektüre statt durch jobs verordnete.

Kannst du die Zeit zu Hause kreativ nutzen oder lähmt dich dieser Zustand eher?

das – wenn auch notgedrungene – innehalten in der distanzzeit tut durchaus gut, zumindest zum verschnaufen. trotzdem fehlt mir das ausgehen. auch das fahrradfahren. ich bin kein ausflugs-radler, sondern nutze die gelegenheit, beruflich von x nach z zu kommen, um fit zu bleiben. zielorientiert also. das fällt jetzt weg und ist der grund für gelegentliches decke-auf-den-kopf.

Derzeit versorgst du deine Nachbarschaft mit Lyrikpäckchen. Wegen der drohenden Decke über’m Kopf oder wie bist du darauf gekommen?

einerseits mache ich das natürlich, um überhaupt einmal rauszukommen. eine kleine werbeaktion kann aber ausserdem nicht schaden. die leute sehen mich normalerweise auf dem rad und fragen sich vielleicht: wer ist das denn genau im letzten haus dort drüben? die lyrikkärtchen haben den vorteil einer kleinen unterhaltung für zwischendurch, gleichzeitig lernen die nachbarn mich besser kennen.

Woran hast du in den letzten Monaten gearbeitet, bevor sich die aktuelle Corona-Situation eingestellt hat?

meine brotjobs haben so viel zeit gefressen, dass ich kaum zu eigenen, literarischen dingen gekommen bin. jetzt habe ich gelegenheit, ein projekt wiederaufzunehmen, das sich mit texten zur kunst beschäftigt. konkreter: gedichte zu gemälden, holzschnitten und graphiken.

Welche Projekte sind bei dir derzeit zum erliegen gekommen?

das geldverdienen. ausgefallene autorenlesungen, die nun ersatzweise online gehen, bringen natürlich nicht das honorar ein, das sie „live“ gebracht hätten.

Ja, es gibt derzeit einige Streams von Lesungen. Vor allem natürlich von Autor:innen, die erst kürzlich ein neues Buch veröffentlicht haben. Man überlegt sogar die Absage des Bachmannpreises rückgängig zu machen und das Format ins Online-Zeitalter zu hieven. Ist das deiner Meinung nach eine Chance, die diese Krise bietet – also anspruchsvolle Literatur auf anderen Kanälen zu vermitteln?

das mit dem anspruch ist so eine sache und hängt womöglich nichtmal mit den gezeigten inhalten zusammen, sondern mit den verwendeten medien. einerseits bin ich sehr dafür, Bachmann online bzw. im TV zu übertragen – wie es ja all die jahre sowieso gemacht wurde – gerade eine solche veranstaltung sollte aber professionell abgefilmt werden und nicht autoren zeigen, denen nicht bewusst ist, dass man den spiegel-modus der selfie-kamera auch auf „normal“ stellen kann (so dass schriften sich richtig herum zeigen zb.). grisselbilder mit mittelmässiger auflösung mögen für einen teaser auf insta oder für eine kurzpräsentation auf facebook in ordnung sein, aber nicht für eine bezahlte lesung. und ich finde, online-lesungen dürfen durchaus einen kleinen „eintritt“ kosten. von veranstalterseite SOLLTEN sie es sogar, bzw: sollte es honorar geben für die autoren*. wenn mich bella triste, manuskripte etc einladen, muss sich das bitte bemerkbar machen.

Du selbst bespielst ja nun auch regelmäßig einen YouTube-Kanal mit Lyrikclips. Als direkte Reaktion auf die gegenwärtige Situation?

ja und nein. einerseits möchte ich natürlich auch beim derzeitigen online-rummel mitspielen (wenn schon die leipziger buchmesse ausgefallen ist). andererseits bestücke ich aber zb. instagram und meinen youtube-kanal ohnehin immer wieder mit kurzen poesiefilmchen. dass das derzeit mehrere pro woche sind, hat aber schlicht damit zu tun, dass ich wegen vieler ausgefallener lesungen dazu komme, endlich mal meinen computer aufzuräumen …

Welche Hilfen erwartest du von Seiten der Entscheidungsträger:innen für freischaffende Künstler:innen?

ich „erwarte“ eine ersatzzahlung des landes [Nordrhein-Westfalen – Anm. M.O.], die über den betrag hinausgeht, der im moment für jeden einzelnen künstler bereitsteht. meine ausfälle übersteigen die angebotene summe. ich „wünsche“ mir jedoch, dass die krise anlass gibt, intensiver und ernsthafter als bisher über ein allgemeines grundeinkommen – nicht nur für künstler – nachzudenken.

Vielen Dank für deine Antworten und bleib gesund!

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Crauss, geb. 1971, lebt in Siegen/D und ist Kulturpädagoge (u.a. Uni Siegen sowie verschiedene Schulen). Er wurde Mitte der 1990er Jahre durch neue, produktive Verfahren einer Videoclip-Ästhetik in der Lyrik einem breiteren Publikum bekannt.

Crauss wurde mit wichtigen Stipendien gefördert, mit Literaturpreisen ausgezeichnet, seine Dichtung in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Neben populärwissenschaftlichen Essays und »gesprochenen Liedern« sind die letzten Veröffentlichungen: DIE HARTE SEITE DES HIMMELS. Pilotengedichte. und SCHUNDFAKTOR: HYBRIDE & DESTILLATE. Essays.

http://crauss.de/

Raniser Debüt: Lisa Goldschmidts „Tage Fragmente“

Im Sommer 2017 trug Lisa Goldschmidt im Rahmen unserer Lesereihe Gedichte in Schillers Gartenhaus in Jena vor. Nun ist ihr Band Tage Fragmente in der Reihe „Raniser Debüt“ des Lese-Zeichen e.V. Jena erschienen. Mario Osterland hat das Buch gelesen und rezensiert.

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Lisa Goldschmidt (Foto: privat)

Tage Fragmente heißt Lisa Goldschmidts Debüt, doch ihre Texte erscheinen nicht eigentlich fragmentarisch, sondern eher wie Absplitterungen von etwas Größerem, dessen sich die Autorin weiter anzunähern versucht. Jede abgeklärt wirkende, abgeklärt spielende Pose ist ihr fremd, was den Gedichten eine bemerkenswerte Zartheit verleiht.

Die vollständige Rezension ist auf den Seiten von fixpoetry.com zu lesen. Das „Raniser Debut“ wird jährlich ausgeschrieben und bietet literarischen Newcomer*innen die Chance ihr erstes Manuskript mithilfe eines professionellen Lektorats fertigzustellen und zu veröffentlichen. Alle Infos dazu gibt es hier.

Nachlese: Niklas L. Niskate

Kreuzschlag

hungrige wanderer. gestanzt in
orientierung am tag. aber nachts
fetzen. sezierte zensuren
überreste. sanft abgeschlagen

synonyme der zeitdiktatur. in fenstern
sitzende leere. blinde
auf immerfort wachsenden gipfeln
tanzende kinder die gesichter grimassen

optionssinne ausgefahren
zugänglich. ausgerechnete bäume

drehst du diesen körper zu
mir wird es abend. fast bodenlos ich seh dich
verschwommen dreimal die dämmerungen
schlagen die hände die köpfe zum

Dopplungen, fließende

Niklas L. Niskates neuem Gedichtband liegt eine Doppelstruktur des Schreibens zugrunde, wie man aus einer Selbstauskunft des Autors erfährt. Er ließ beim Schreiben der Texte erst einmal alles zu, häufte so sehr viel Textmaterial an, aus dem dann die eigentlichen Gedichte herausgearbeitet wurden. Der Doppelsinn des Titels deutet das schon an. Jeder aufzulösende Knoten muss erst einmal geknüpft werden oder zumindest geknüpft sein. Niskates Knoten sind seine Gedichte, gemacht aus einer Sprache, die auf dem Prüfstand steht, die nicht feststeht, sondern sich im Fließen befindet. Assoziativ erscheinen seine Aneinanderreihungen, assoziativ auch die Brüche innerhalb der Texte.

Dieses Changieren zwischen Gewiss- und Ungewissheiten bestimmen nicht nur sein neues Buch, das im Grunde nur die halbe Wahrheit ist, sondern auch seine Auftritte. Fern der klassischen Lyriklesung performt Niskate seine Texte mit einer Loopstation, die ihm erlaubt, auf der Grundlage des Geschriebenen Musik entstehen zu lassen. Denn wenn die Sprache durchlässig ist, sind es die künstlerischen Gattungen erst recht. So ist es nur konsequent, dass der Autor seine Gedichte zudem in Computergrafiken übersetzt und zur Illustration seines Bandes verwendet hat.

Entwicklung der Knoten ist ein komplexes Unterfangen, das durch seine Offenheit jedoch einlädt, hier und da ein Stück herauszupicken und selbst weiterzuspinnen, weiterzuweben, weiterzu(ent)wickeln.

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Hier geht’s zum Buch.

8.12. – Weimar – IN GUTER NACHBARSCHAFT #15

Wassily Kandinsky als Dichter – Musikalische Lesung mit Conny Bauer, Alexander Filyuta und Alexander Graeff

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8. Dezember 2017 – 20:00 Uhr

mon ami (Goetheplatz 11, 99423 Weimar)

Eintritt: 7,-/ ermäßigt 5,- € (nur Abendkasse)

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Das bisher experimentellste Jahr der Lesereihe „In guter Nachbarschaft“ geht am 8.12. in Weimar mit einem echten Höhepunkt zu Ende. Wir wagen einen ersten Ausblick auf das Bauhausjahr 2019 und widmen uns einen Abend lang Wassily Kandinsky, dem Maler, Kunsttheoretiker und – Dichter!

Mit dem Buch „Vergessenes Oval“ machen der Übersetzer Alexander Filyuta und der Herausgeber Alexander Graeff die poetische Seite Kandinskys einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Prosagedichte des russischen Künstlers zeigen bereits seinen Weg zur Abstraktion auf literarischer Ebene und dokumentieren die Vielfalt und Geschwindigkeit der Klassischen Moderne. Positionen und Bewegungen, wie der Dadaismus und die Konkrete Poesie werden hier bereits vorweggenommen. In Kandinskys Gedichten kann man der Avantgarde bei ihrer Entstehung zusehen. „In guter Nachbarschaft“ lässt Sie an diesem einzigartigen Abend daran teilhaben.

Filyuta und Graeff präsentieren das bisher wenig bekannte dichterische Werk Kandinskys in einer eindrucksvollen deutsch- und russischsprachigen Lesung. Unterstützt werden sie dabei von der Jazzlegende Conny Bauer! Mit Auszügen aus „Der gelbe Klang“ – Improvisationen für Posaune, nach dem gleichnamigen Theaterstück Kandinskys – ist Bauer nicht nur Begleiter, sondern programmatischer Bestandteil eines außergewöhnlichen Lesekonzerts.

„Bauers Konzerte sind nicht wie andere Konzerte. […] Dieser Mann ist sein eigener Posaunenchor.“ (Ulrich Steinmetzger, neue musikzeitung)

CONNY BAUER (*1943 in Halle/Saale) begann als Jugendlicher zu musizieren. Nach autodidaktischen Anfängen als Sänger und Gitarrist, studierte er in Dresden Posaune. Dort entdeckte er den Jazz für sich. Nach dem Studium zog er nach Berlin und spielte in verschiedenen Bands, wie der „Modern Soul Band“, „Synopsis“ oder „FEZ“. 1974 gab er sein erstes Solo-Konzert und fasziniert seitdem seine Zuhörer mit immer neuen Klängen, die er durch meisterhafte Blastechniken erzeugt. Der US-amerikanische Musikjournalist John Corbett prägte den Begriff der „Conradismen“ und bezeichnete Bauers Musik als „eine der radikalsten originalen Stimmen in der improvisierten Musik.“
Für seine Musik wurde er bereits vielfach ausgezeichnet, 1986 mit dem Kunstpreis der DDR und 1994 mit dem Verdienstorden des Landes Berlin. 2004 erhielt Bauer insbesondere für sein Solo-Album „Hummelsummen“, das in der Kirche von Boswill / Schweiz aufgenommen wurde, den SWR-Jazzpreis. 2008 erlangte er einen Platz auf der Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik in der Kategorie „Grenzgänge“ für seine Solo-CD „Der gelbe Klang“.

ALEXANDER FILYUTA, geboren in Leningrad (UdSSR), studierte Deutsche und Russische Philologie in St. Petersburg und in Berlin. Er ist vor allem als Übersetzer und Kurator tätig. Als Lyriker schreibt er auf Russisch und auf Deutsch. In seiner übersetzerischen bzw. kuratorischen Tätigkeit widmet er sich überwiegend Werken von Autorinnen aus denehemaligen Staaten des Warschauer Paktes. Alexander Filyuta ist Mitbegründer des Poesie-Projektes Lyrik im ausland (2010), in dessen Mittelpunkt Lesungen Berliner und internationalen Autorinnen und Autoren im Veranstaltungsraum »ausland« in Prenzlauer Berg stehen.

ALEXANDER GRAEFF, Dr. phil., lebt und arbeitet als Autor, Herausgeber und Dozent für Ästhetik, Ethik und Pädagogik in Berlin. Promotion und zahlreiche Veröffntlichungen über Wassily Kandinsky. Ergebnisse seiner Schöpfungsprozesse sind gleichermaßen wissenschaftliche sowie belletristische Texte. Grundlage seiner philosophischen Arbeiten ist eine konstruktivistische Weltauffassung, Themen sind meist existenzielle Lebenserfahrungen. Seine belletristischen Texte (Prosa, Lyrik) sind surreal. Alexander Graeff wissenschaftliche Studien suchen die theoretische wie methodische Verbindung von Kunst, Literatur, Bildung und Philosophie.

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Die Reihe „In guter Nachbarschaft“ ist ein Projekt der Literarischen Gesellschaft Thüringen e. V. und wird unterstützt durch die Thüringer Staatskanzlei und die Kulturdirektion der Stadt Weimar.

Die künstlerische Projektleitung haben: Julia Hauck, Peter Neumann und Mario Osterland

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„In guter Nachbarschaft“ ist Teil der Initiative „Unabhängige Lesereihen“: http://lesereihen.org/

 

 

3.11. – Weimar – Lyrik & Jazz // XVI. Weimarer Lyriknacht

Auch in diesem Jahr gibt es wieder Lyrik & Jazz zur nunmehr 16. Weimarer Lyriknacht. Moderatorin Nancy Hünger hat erneut ein hochkarätiges und repräsentatives Leseprogramm für Freund*innen deutschsprachiger Gegenwartsdichtung – und solcher die es werden wollen – zusammengestellt.

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Freitag, 3.11.2017 – 20 Uhr

Stadtbücherei Weimar (Steubenstraße 1)

Eintritt: 10,-/ ermäßigt 6,- €

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Mit dabei sind in diesem Jahr: die Trägerin des Deutschen Buchpreises 2012 Ursula Krechel, außerdem Tom Schulz, Ulrike Feibig und Christian Filips!

Das Trio NyponSyskon ergänzt, erweitert und rundet den Abend mit folkigem Jazz ab.

Weitere Infos gibt es auf den Seiten der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. // Die Weimarer Lyriknacht ist Teil der JAZZMEILE Thüringen.

 

Neue Lyrik: „heimische Arten“ von Mario Osterland

Nachbarschafts-Mitorganisator Mario Osterland hat sein zweites Buch veröffentlicht. Der Gedichtband heimische Arten erscheint, wie schon sein Debut In Paris (2014), im Kölner Independent-Verlag parasitenpresse. Weitere Informationen und die Möglichkeit das Buch zu bestellen, findet ihr im Link ganz unten.

Die Doppel-Buchpremiere mit André Schinkel, der seinen neuen Gedichtband Bodenkunde vorstellt, findet in Jena statt am:

14. Oktober 2017 – 20 Uhr 

Galerie im Stadtspeicher (Markt 16, Jena)

Eintritt: 5,-€

Musikalisch begleitet wird der Abend von einem guten Bekannten unserer Lesereihe: littlemanlost! [Alle Infos zur Veranstaltung hier.]

Außerdem liest Mario Osterland bei der diesjährigen Ausgabe der Erfurter Spätlese im Rahmen der Erfurter Herbstlese.

20. Oktober 2017 – 20 Uhr

Haus Dacheröden (Anger 37, Erfurt)

[Alle Infos dazu auf der Website der Erfurter Herbstlese.]

Der LeseZeichen e.V. hat außerdem ein Video produziert in dem ihr das Gedicht fossile Gewässer aus dem Band heimische Arten hören könnt:

Private wie urbane Räume, die hier bedichtet werden, sind trostlos, das Rurale beiläufig, aber zunehmend rituell. Die Zeichen vergletschern! Was der Mensch nicht wahrnimmt: die Ränder zur ungewissen Zukunft als auch zur dunklen Vorvergangenheit zerfasern, es entstehen Fraßbilder, irgendwo im Düsteren schließt sich der Kreis … Mario Osterland gelingt es, uns wie nebenbei Beklemmung und […]

über Mario Osterland: heimische Arten — parasitenpresse

Poetryfilm: Antique Sound

Unsere Freunde vom Poetryfilmkanal Weimar stellen auf ihrer Website regelmäßig einen Film des Monats vor. Dabei kommen auch immer wieder Gastautoren zu Wort. Bereits im August hat Nachbarschafts-Mitorganisator Mario Osterland in dieser Reihe über Evan Holms Film „Antique Sound“ (nach einem Gedicht von W.S. Merwin) geschrieben.

Wir läuten das Ende unserer Sommerpause ein, indem wir euch hiermit den Link zu seinem Text, sowie den besprochenen Film nachreichen.

ANTIQUE SOUND from Motionpoems on Vimeo.

 

Unterdessen arbeiten wir an unseren Veranstaltungen im November und Dezember in Erfurt und Weimar, bei denen wir auch diesmal wieder die Grenzen unabhängiger Literatur und neuer Leseformate ausloten werden. Ihr dürft gespannt sein! Wir sind es auch.

Robert Sorg – „Feldrandzeichen“

Dieb

 

Als ich nach Hause kam,

war nicht verändert.

Nur fand ich einen Zettel

in der Diele,

am Rand des Spiegels

eingeklemmt,

unbeschrieben,

der war von dir,

Dieb.

 

Minimalistisch, beobachtend, zeichenhaft sind die Texte des Jenaer Kunsthistorikers, Kulturmanagers und Bibliothekars Robert Sorg, der in diesem Jahr mit Feldrandzeichen sein literarisches Debut veröffentlichte. Als Teil der Publikationsreihe „Jahresgabe“ der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. erscheint es im schmalen Heftformat von 20 Seiten. Ein Format, dass Sorgs verdichteten Texten zwischen Lyrik und kurzer Prosa sehr gut steht. Feldrandzeichen ist kein Zyklus, sondern ein Kondensat mehrjähriger Schreibarbeit. Darin lotet Sorg vor allem zwischenmenschliche Krisensituationen und Sehnsüchte aus, versucht bisweilen die Welt als Bild zu lesen und das Subjekt darin zu verorten. Mit Franz Kafka klingt in diesen Texten ein berühmtes Vorbild literarischer Suchbewegungen an. Sorg nimmt nicht nur dessen Stimmung auf, sondern vertraut auch auf eine klar gehaltene Sprache, die nur selten ausbricht, sich nicht verschnörkelt, allenfalls mäandert, wo es die sinnliche Anschauung verlangt.

Fenster

Zum Beispiel: Am Ende der Nacht aufwachen. Fensterblick: Eine Winterlandschaft. Über die Schneedecke zieht sich das Liniengeäst nackter Bäume. Dazwischen Passanten, in Mäntel gehüllt, mit eilendem Schritt, zufällige Pfade ins Weiß tretend. Innen der Wunsch, Indianer zu werden. Die Prärie sehen, oder vorerst: Krokusblüten.

Sie liegt im Bett. Wie war das alles nochmal? Gedankennotiz: Eisblumen als Ornament am Fensterkreuz. Ich folge ihren Ursprüngen. Der Blick gleitet kursorisch über den Körper. Atem zeichnet sich ab. Der Bauchnabel hebt und senkt sich, wölbt sich, reißt auf. Pfauenaugen, Admirale, Bläulinge – Lepidoptera; ihre Flügel entfalten sich zwischen dem Blut, retten sich an das kalte Fensterglas, vereisen, verhaften. Statements: Das Herz: ein einsamer Jäger, ein geräumiger Friedhof, am Ende des Herzens rudert die Bombe. Die Flügel der Falter schlagen ans Fenster. Mein Blick streift das Geäst der Bäume, sucht nach Konturen im Schnee. Im Mund der Geschmack ihrer Lippen. Der Duft ihres Schweißes. Das Dröhnen der Flügelschläge –

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Robert Sorg: Feldrandzeichen. Literarische Gesellschaft Thüringen e.V.: Weimar, 2017. 20 Seiten. 4,50€ – ISBN 978-3-936305-40-1 (Hier bestellen.)

Rückschau: IN GUTER NACHBARSCHAFT #12

Am 28. April fand die zwölfte Ausgabe unserer Lesereihe in Jena statt. Im Rahmen der „Langen Nacht der Museen“ gastierten wir in Kooperation mit dem Kunsthof Jena e.V. und dem Jenaer Kunstverein e.V. in der Galerie im Stadtspeicher.

Im Mittelpunkt stand dabei einmal mehr unsere Idee, ausgehend von der Literatur Nachbarschaftsverhältnisse zu anderen Künsten zu suchen, zu finden, herzustellen und zu pflegen. Bereits im Januar hatten Tim Holland und Moritz Schneidewendt diese Idee erfolgreich für uns in der ACC Galerie in Weimar erprobt.

In Jena ließen wir nun den Frankfurter Dichter Marcus Roloff und den elektroakustischen Klangkünstler Tim Helbig aufeinander treffen. Roloff las unter anderem aus seinem letzten Gedichtband Reinzeichnung, in dem er sich verstärkt mit den Wirkungsweisen bildender Kunst auseinandersetzt, diese poetisch reflektiert und sprachlich erweitert. Um dem Publikum den Einstieg in das recht komplexe Sujet zu erleichtern, eröffnete er seine Lesung mit einem kurzen Essay, der die Arbeitsweise des Dichters illustrierte.

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Mit teilweise selbstgebauten Instrumenten und Effektgeräten stieg Tim Helbig in die Lesung ein, improvisierte Klangbilder, verfremdete und loopte die Stimme Roloffs. So entstand aus dem Zusammenspiel von Lesung und Klangkunst eine vielschichtige Soundcollage abseits der sonst üblichen Auftritte beider Künstler. Das neue Zusammenwirken von Wort und Klang knüpfte zudem an die in den Räumen des Stadtspeichers gezeigte Ausstellung DEKONTEXT an, in der Objekte aus ihrer gewohnten Umgebung isoliert und so einer neuen Bedeutungsebene zugeführt werden.

Zwischen den zwei improvisierten Sets pflegten wir zudem die Nachbarschafts-Tradition des Autorengesprächs. Im Dialog mit Moderator Mario Osterland erläuterte Marcus Roloff kurz seine kreativen Herangehensweisen an bildende Kunst und Literatur. Dabei betonte er, dass die Künste seiner Meinung nach einen Zugang ohne vorausgesetztes Wissen ermöglichen sollten, um das Publikum nicht unnötig vor den Kopf zu stoßen.

Das Publikum im gut gefüllten Jenaer Stadtspeicher entließ beide Künstler mit entsprechend langem Applaus in die Nacht.

„In guter Nachbarschaft“ sagt Danke für einen gelungenen Abend, der ohne die Unterstützung von Kunsthof und Kunstverein Jena so nicht möglich gewesen wäre!