der boden unter den füßen
den verschwundenen dörfern im rheinischen braunkohlerevier
I
weißkohl-, wirsing-, möhrenfelder, letzte ernten und
ein stoppelbild, mit igelschnitt, so geisterten die jungs hier
rum, kickten bälle in die fremden gärten, knickten flieder,
brombeer, buchsbaum, diese feldspieler im abseits, und das tor
bleibt wie vernagelt, vor der tür steht ein vertreter, unter-
händler, breitet angebote auf der wachstischdecke aus: lukrativ
sei der vereinswechsel ins nachbardorf und ohnehin
geht hier bald alles vor die hunde, eh man sich versieht,
fällt man in ein großes loch: und wenn wir hier schon nichts
gewinnen, treten wir euch wenigstens den platz kaputt
Vielschichtig ist das Land, vielschichtig die Zeit und das Erinnern.
Mit seinem Buch lidschluss widmet sich Christoph Wenzel dem Strukturwandel seiner rheinisch-westfälischen Heimat. Er legt Querschnitte an von der Braunkohle in der Tiefe bis zur vermeintlichen Oberfläche, Längsschnitte vom Vorgarten des Eigenheims bis zum Fußballplatz und darüber hinaus. Als allgemeingültige Denkmäler für die, dem Tagebau gewichenen Dörfer lassen sich Wenzels Gedichte lesen. Aber auch als ganz individuelle Szenen, die abknickende Sträucher, zerbrochene Fenster und das Rufen der Pöhler vor dem inneren Auge bzw. Ohr entstehen lassen.
Das sind schöne und zugleich tragische Erinnerungen an eine Zeit, deren Orte unauffindbar geworden sind. Für die ein simuliertes Dorf zur Umsiedlung niemals wird Ersatz schaffen können. Wie lukrativ der Wechsel nach nebenan wirklich ist, bleibt also offen. All dem begegnet Wenzel mit viel Empathie, die jedoch nicht in Rührseeligkeit abkippt. Dafür sorgt etwa die Fußballmetapher, die das hier wiedergegebene Gedicht zusammenhält. Vielleicht lohnt das Aufreißen der Erde unter dem Dorf gar nicht und alles wurde umsonst aufgegeben. „Dann treten wir euch wenigstens den Platz kaputt.“ Für alles im Leben, gibt es die richtige Fußballweisheit. Manchmal hilft eben nur noch Lakonie und Galgenhumor.
mo