Hörspielautorin Vivien Schütz im Interview

Mit IN GUTER NACHBARSCHAFT #23 haben wir nicht nur das digitale Format des Podcasts ausprobiert, sondern auch erstmals ein Hörspiel ins Programm unserer Lesereihe integriert. „Kammerspiel“ von Vivien Schütz kann man hier nachhören. Wir sprachen mit der Autorin über ihre Arbeit.

Vivien Schütz - Foto David Heaton
Vivien Schütz, Foto: David Heaton

Liebe Vivien, vielen Dank für dein Hörspiel „Kammerspiel“ in unserer Podcast-Premiere. Du hast in Weimar Medienkunst studiert und bist zurzeit als freie Autorin für Radio und Podcast tätig. Hat sich für dich schon während des Studiums herauskristallisiert, dass du im Bereich Radio und Podcast arbeiten möchtest?

Das hat sich nach und nach herauskristallisiert. Anfangs, direkt nach dem Abi, hat mich vor allem die Arbeit beim Fernsehen oder Film interessiert, aber während meines Journalistikstudiums in Dortmund und die Arbeit beim Campusradio habe ich dann gemerkt, dass ich weniger visuell und eher „auditiv“ denke und meine Ideen besser im Radio umsetzen kann. Ich habe dann ein einjähriges Volontariat beim Lokalradio absolviert, dort aber gemerkt, dass mir der kreative Spielraum fehlt und mich die kurze tagesaktuelle Berichterstattung nicht reizt. Der Masterstudiengang „Medienkunst“ mit dem Schwerpunkt Experimentelles Radio kam da gerade recht, weil ich dort Journalistisches und Künstlerisches vereinen konnte.

Du hast also sowohl einen journalistischen als auch einen künstlerischen Hintergrund zur Radioproduktion. Überwiegt in deiner Arbeit eine der beiden Herangehensweisen für dich?

Das hängt von dem jeweiligen Projekt ab. Wenn ich an einem Hörspiel arbeite, und eine fiktive Welt erschaffe, dann arbeite ich vor allem mit dramaturgischen Mitteln. Die Vorarbeit dazu kann sogar „journalistisch“ sein, weil ich vielleicht Menschen vorab interviewe und recherchiere, um besser in diese Welt, die ich baue, einzudringen. Wenn ich an einer Doku arbeite, greife ich auf journalistisches Werkzeug zurück, arbeite aber auch hier mit dramaturgischen Mitteln wie Musik und Plot-Entwicklung.

Dein Hörspiel „Kammerspiel“ zeigt sehr anschaulich den Kontrast einer Fülle an auditiven Eindrücken im Digitalen bei sehr begrenztem Raum im Analogen – eine Erfahrung, die zurzeit sehr viele Menschen machen. Ist das Hörspiel aus der aktuellen Situation heraus entstanden? Wie würdest du die Entstehung dieses Hörspiels beschreiben?

Das Hörspiel habe ich noch vor der Pandemie produziert. Mein Freund und ich wohnen in einer sehr kleinen Einzimmerwohnung und ich habe leider kein eigenes Büro, dafür aber eine kleine Kammer. In die begebe ich mich, wenn ich Sprachaufnahmen machen möchte. Die ist vielleicht einen Quadratmeter groß. Ich habe so eine Art Hassliebe zu der Kammer. Sie ist super praktisch, aber gleichzeitig sehr unbequem. Es wird darin sehr schnell sehr warm. Als ich dann den Aufruf für den Kurzhörspielwettbewerb der ARD gesehen habe, kam ich auf die Idee diese „Schwäche“, diese Herausforderung einer freien Autorin (kein professionelles Aufnahmestudio in der Regel, Zeitdruck) zu thematisieren, mit humoristischem Blick.

Sehr gelungen, wie wir finden.

Danke.

Hast du literarische Vorbilder oder Inspirationsquellen beim Schreiben und Entwickeln deiner Hörspiele?

Eine Hörspielserie, das mir sehr im Kopf geblieben ist und mich nachhaltig beeindruckt hat, ist „The Shadows“ von Kaitlin Prest (https://www.cbc.ca/listen/live-radio/1-201-the-shadows). Der Plot ist fiktiv, aber die Serie fühlt sich extrem realistisch und intim an. Da wird geflüstert, geatmet, geraschelt und man hat das Gefühl, das sind keine SchauspielerInnen, das sind echte Menschen, die einen gerade in ihr Leben lassen. Solche Formate, solche hybriden Formen, finde ich spannend, Fiktion, die auf echten Lebenswelten, echten Menschen fußt, aber mit dokumentarischem Gewand.

Seit einigen Jahren gibt es eine ganze Reihe von neuen Podcast-Formaten, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Wie würdest du die derzeitige Situation Kreativer in der nationalen und internationalen Radio- und Podcast-Szene einschätzen?

Wir sind auf jeden Fall gerade in einer spannenden Zeit. Es entstehen ständig neue Podcasts und neue Formate beim Radio, die entweder als Podcast ausgespielt werden oder exklusiv als Podcast veröffentlicht werden. Das bedeutet, es gibt viel Arbeit für freie AutorInnen und die Festivals, die Hörspiele und Dokumentationen präsentieren, werden auch immer größer und vielfältiger. Die Schwierigkeit ist, als freie AutorIn mitzubekommen, wo gerade etwas passiert und inwiefern man Teil davon werden kann. Ich bin auch immer noch dabei herauszufinden, was der beste Weg für mich ist, kreativ und ökonomisch. Am liebsten produziere ich meine Stücke komplett frei, gerne mit einem Mentor/einer Mentorin, aber ohne Vorgaben (Länge, Stil, Voice-Over etc.), aber das ist ökonomisch nicht immer vernünftig. Es ist besser direkt mit einer Redaktion zusammen zu arbeiten, aber dann gibt es natürlich gewisse Einschränkungen.

Woran arbeitest du zurzeit?

Ich habe gerade mehrere Projekte fertig gestellt, die in den nächsten Monaten veröffentlicht werden. z.B. ein Radiofeature über orthodoxe JüdInnen in Brooklyn und ein Kurzhörspiel. Und gerade arbeite ich an einer Podcast-Serie, die sich thematisch mit der Medizin in der NS-Zeit beschäftigt und mit BetrügerInnen, die sich mit einer jüdische Opferidenität schmücken.

Wir sind gespannt. Vielen Dank für das Interview.

Gerne!

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Vivien Schütz, *1990, hat Journalistik an der TU Dortmund und Radiokunst an der Bauhaus-Universität Weimar studiert. Sie produziert Reportagen, Features, Kurzhörspiele und Podcast-Geschichten und war Åke Blomström Awardee der EBU 2019. Aktuell arbeitet sie an einem Radio-Feature über jüdisch-orthodoxe Frauen in Brooklyn, die das Gebot der Kopfbedeckung hinterfragen und neu denken.

Mehr von Vivien Schütz gibt es hier zu hören.