Lisa Memmeler im Interview

IN GUTER NACHBARSCHAFT #28 fand am 28. Oktober in der ACC-Galerie Weimar erstmals wieder live & in Präsenz statt. Mit dabei war Lisa Memmeler – wir haben mit ihr über ihre Gedichte und die Teilnahme am open mike gesprochen.

Lisa Memmeler (c) Henrike Ribbe
Lisa Memmeler, Foto: Henrike Ribbe

Du warst dieses Jahr als Finalistin beim 29. open mike und hast dort Gedichte gelesen. Der open mike ist ja ein sehr wichtiger Wettbewerb für junge Schriftsteller*innen – wie hast du die Tage in Berlin erlebt, was waren deine Erfahrungen?

Da ich ansonsten wenig mit ‚dem Literaturbetrieb‘ in Kontakt bin, waren die Tage in Berlin für mich sehr aufregend. Sich auszutauschen und von Menschen umgeben zu sein, die alle auf ihre eigene Weise literarisch aktiv sind, lässt diese eigentümliche Welt des Schreibens – die manchmal ja auch eine sehr einsame sein kann – sehr real werden, gibt ihr einen Ort. Ich habe das Gefühl, dass gerade der Lyrik so ein Ort vielleicht fehlt, vielleicht macht dieses Fehlen sie auch ein wenig aus… aber es war in jedem Fall für mich sehr besonders, ein Sprechen über Lyrik und ein lyrisches Sprechen in diesem Kontext als sich-raum-schaffend zu erleben.

In deinen Gedichten werden vermeintlich natürliche Bilder (z.B. des Meeres oder des Himmels) gebrochen durch menschengemachte Umwelt, etwa in dem Versuch, neben dem rauschen der hochspannungsleitung kommender, rennender züge die Stimmen der Frösche zu hören. Ist das etwas, was du bewusst verfolgst?

Dass Natur und wofür sie einsteht nicht ungebrochen erfahren werden können, ist eher etwas, das meinem Schreiben auf eine Art immer wieder neu widerfährt. Der Bruch stellt sich mehr ein, als dass ich ihn bewusst plane – auch wenn er wohl unvermeidlich ist. Was mich dabei aber besonders interessiert, ist, wie lange Motive und bestimmte Sprachformen sich durchhalten lassen und wo sie ein anderes Sprechen fordern, fordern aufgegeben, abgewandelt, entrückt oder betrauert zu werden.

Deine Gedichte erzeugen immer wieder Momente der Spannung, kurz bevor sich etwas Bahn bricht – so schreibst du von hochspannungsleitungen, von häuten glühenden anthrazits und gedehnten häuten der Frösche, von Menschen, die sich zwischen glattem Gestein aufsprengen und der Zeit, die wild ausschlägt. Würdest du dem zustimmen? Was fasziniert dich daran?

Ja, schon. Ich glaube, das passiert, wenn die Tragfähigkeit eines bestimmten Sprechens auf der Probe steht. Es entsteht eine bestimmte Spannung, die das Sprechen dynamisiert, forttreibt und umlenkt. Auch die Bilder in den Gedichten und ihre Bewegungen formen sich mir oft entlang dieser experimentellen Achsen. Die Sprache oder auch ihr Rhythmus gewinnt in ihrer Spannung eine Art Eigenleben, nur ganz kurz, um dann unmittelbar die Frage nach einem nächsten Ansetzen und Weitersprechen zu stellen. Das, was sich dann vielleicht Bahn bricht, muss sich zu der eigenen evozierten Dynamik ins Verhältnis setzen; und dieses Antworten auf abgebrochene Tendenzen des eigenen Sprechens reizt mich sehr, weil man nie genau weiß, wohin es führt – weil es öffnet und auffordert.

Wann hast du begonnen, Lyrik zu schreiben? Und in welchen Momenten entstehen deine Gedichte?

Begonnen, Lyrik zu schreiben, habe ich früh. Auch das Lesen von Gedichten und Theaterstücken in der Schule hat bei mir oft ein Einschwingen auf deren Rhythmen provoziert. Das hat mir häufig so lange keine Ruhe gelassen, bis ich einen eigenen Versuch, lyrisch darauf zu antworten, unternommen habe. In Teilen ist das auch heute noch so. Abgesehen davon sind es keine spezifischen Momente, in denen die meisten Gedichte entstehen. Manches brütet lange und zäh, manches drängt sich mit einem Mal auf und fordert sich ein. Zur Überarbeitung einzelner Texte nehme ich mir auch mal explizit Zeit, aber die meisten ersten Impulse machen sich in zeitlichen Zwischenräumen laut.

Wie geht es für dich nach dem open mike nun weiter? Arbeitest du bereits an einem neuen Projekt?

Den Schwung des open mike und die Anregung der Tage in Berlin versuche ich in mein Arbeiten aufzunehmen. Dass auch nach dem Wettbewerb über mehrere Jahre die Teilnahme an Lyrik-Workshops möglich ist, kommt mir dabei sehr entgegen. Manchmal reicht ja eine solche Gelegenheit, die ermöglicht, sich perspektivisch über die eigenen Projekte auszutauschen, um sich in seinen eigenen Vorhaben ernst zu nehmen und nicht davon abzulassen. Zurzeit schreibe ich an einigen neuen Gedichten. Dabei beschäftigen mich vor allem Anredeformen im Gedichteten weiterhin, aber ich habe das Gefühl, dass in den neueren Gedichten das >Du< besonders prekär wird, sich waghalsig probiert: als bis zu seinen Grenzen herauszuforderndes und dort (vielleicht) zu schützendes.

Vielen Dank für das Interview!

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Lisa Memmeler, 1993 in Düsseldorf geboren, lebt in Jena. Hat Philosophie in Marburg, Jena, Mailand und Rom studiert. War Praktikantin am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt a.M. und im Marburger Kunstverein. Derzeit schließt sie ihr Studium der Psychologie in Marburg ab. 2021 ist sie Finalistin des open mike Wettbewerbs in Berlin in der Kategorie Lyrik.