Beau Baum im Interview

IN GUTER NACHBARSCHAFT #26 wurde am 20. April ’21 im Radio Lotte Weimar ausgestrahlt und ist nun als Podcast abrufbar. Mit dabei ist Beau Baum mit einer Lesung von Gedichten und Kurzprosa. Wir haben ihn interviewt.

Beau Baum, Foto: Beau Baum
Beau Baum, Foto: Beau Baum

Deine Gedichte spielen mit Erinnerungen, es geht um das Erwachsenwerden und die Schwierigkeit, sich in der Welt Zuhause zu fühlen, einen passenden Ort zu finden – würdest du da zustimmen? Welche Themen bearbeitest du?

Ich halte das schon für eine richtige Einordnung. Bilder, die ich auch oft bei mir erwische, sind die von verfallenen Industrieruinen und zurückkommender Natur, alles hat so einen leichten Ost-Provinz-Einfluss. Ich wollte nie eine Person sein, die die ganze Zeit nur aus sich selbst schöpft, aber in meinen Texten dreht es sich gerade oft um Sachen, die mich irgendwie beschäftigen. Wenn ich dann mal erwachsen geworden bin – falls das überhaupt möglich ist – und einen Platz in der Welt gefunden habe, ändert sich meine Perspektive bestimmt. Aber bisher möchte ich meine Verletzlichkeit zugänglich machen, die kleinen Momente festhalten, meine Gedanken ordnen.

Deine Texte sind sehr persönlich. In „August, Leipzig nach Hildesheim“ sehen wir dich im Zug sitzen – sind es solche Momente, in denen du schreibst? Wie ist deine Arbeitsweise?

Ja, tatsächlich schreibe ich im Zug am allerbesten! Leider ging das im letzten Jahr nicht sooft. Ich würde gerne sagen, dass ich mich regelmäßig hinsetze und schreibe, aber das wäre schlicht gelogen.  Meistens schreibe ich, wenn ich irgendetwas besonders Starkes empfinde, das ich verarbeiten möchte. Ich würde es nicht mal Inspiration nennen, manchmal schreibe ich auch, wenn ich wahnsinnig wütend bin und nicht weiß, wo hin damit. Statt Boxsack haue ich dann in die Tasten. Manchmal kommt was dabei raus. Ein Großteil von dem, was ich produziere, ist Schrott, ich versuche sehr viel zu schreiben und dann die Sachen, die irgendwie Sinn ergeben, herauszufischen.

Du hast viele Preise gewonnen: Seit 2014 mehrmals beim Eobanus-Hessus-Schreibwettbewerb, 2018 beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen und dem Treffen junger Autor*innen in Berlin. Du beschäftigst dich auch im Studium mit Literatur. Wolltest du schon immer schreiben?

Ja, schon seit ich sehr klein war. Aber dafür mache ich es eigentlich gerade zu wenig, ich konzentriere mich auch in meinem Studium eher auf andere Kunstformen, Dokumentarfilm, Videospiele, Theater – Literatur ist da ein Nebenfach. Schreiben bildet aber meinen Zugang zu den ganzen anderen Themen. Deswegen verlässt es mich nie so richtig. Wenn ich die ganze Zeit schreiben und mich mit meinem eigenen Schreiben beschäftigen würde, könnte ich mich definitiv bald nicht mehr ausstehen.

Du schreibst Lyrik und Kurzprosa, hast aber auch schon fürs Theater gearbeitet. Inzwischen studierst du Medien, Theater und Literatur in Hildesheim – und momentan in Paris – und arbeitest interdisziplinär, filmisch und machst „diverse Arten von Kunst“. Welche Ausdrucksweisen reizen dich, und warum?

Das ist schwer zu beantworten, ich probiere so rum und nehme, was kommt. Es ist nicht so, dass ich schon meine Form gefunden habe. Mich reizt der Gedanke von Dokumentation, ich mache gerne Dokumentarfilm, dokumentiere mit Texten mein eigenes Herumleben in der Welt. Mich reizt aber auch enorm das Potential von Game Design – wie es möglich ist, eine spielende Person durch eine Welt zu leiten, ohne dass die Person überhaupt merkt, dass sie geleitet wird. Einfach eine Welt schaffen – oder bei Texten dann eine Gedankenwelt – und diese zugänglich machen.

Hildesheim ist eine von drei Universitäten in Deutschland, die Kreatives Schreiben als Studiengang anbieten. Hat sich dein Zugang zu Literatur während des Studiums verändert?

Die Frage zielt gefühlt auf ein Ja, aber ich muss sagen – wenn es ums kreative Schreiben geht, eher nicht (allerdings habe ich mich ja wirklich nicht viel damit beschäftigt). Wissenschaftliche Texte haben sich mir allerdings viel stärker erschlossen, dafür ist das Studium vielleicht auch so ein bisschen da.

Wir steuern in Deutschland auf den dritten Lockdown zu. Deshalb als letzte Frage: Was liest du gerade? Welche Bücher würden dich in die Quarantäne begleiten?

In meinen letzten Tagen in Paris verschlang ich einen absolut fantastischen Roman innerhalb von vierundzwanzig Stunden, ist eigentlich nicht mein Stil: The City & The City von China Miéville. Würde ich allen Menschen empfehlen, die Krimis mögen und richtig in die Atmosphäre einer fiktionalen osteuropäischen Stadt eintauchen wollen (oder mehr als einer). Werde also noch mehr von diesem Autor lesen in nächster Zeit. Gerade lese ich noch Gender Outlaws von Kate Bornstein, einer us-amerikanischen trans Aktivistin, ein älterer, aber sehr liebevoller, humorvoller Text. Und ich bin auch endlich dabei On Earth We’re Briefly Gorgeous von Ocean Vuong zu lesen. Sonst bin ich gerade wieder im Semester, also viele akademische Texte.

Vielen Dank für das Interview!

///

IN GUTER NACHBARSCHAFT #26 nachhören:
Youtube https://youtu.be/8PjVO9hTkdQ

///

Beau Baum, geboren 1999 in Gotha, verbringt seine Zeit mit Studieren in Hildesheim (Medien, Theater und Literatur) und damit, diverse Arten von Kunst machen. Veröffentlicht wurde er schon – unter anderem Namen – beispielsweise in der Anthologie des Treffen junger AutorInnen 2018 oder im konkursbuch Tod 2020. Momentan studiert er – trotz Pandemie – in Paris und konzentriert sich auf den eher filmischen Teil seines Studiums. Er hofft, in Zukunft noch ein paar mehr Dinge zu erleben oder zu veröffentlichen, die sich in solchen biografischen Angaben erwähnen lasen. Seine Themen, sowohl akademisch, als auch literarisch, als auch gelebt, kreisen gerade um die Komplexe Identität, Dokumentieren, Videospiel und Queerness.

IN GUTER NACHBARSCHAFT #26 Rudi Nuss, u.a.

Am Dienstag wird die neue Ausgabe von IN GUTER NACHBARSCHAFT auf Radio Weimar als Podcast ausgestrahlt und ist im Anschluss auf der Mediathek der Literarischen Gesellschaft Thüringen und auf Youtube nachzuhören. Zu Gast ist diesmal Rudi Nuss, der aus seiner Erzählung “Nebenan, die Weite oder: Die jämmerliche Fähigkeit des Kapitals, Leere zu reproduzieren” liest und sich mit uns unter anderem über Science Fiction, das Schreiben, und die Verflechtungen von Literatur und Internet unterhielt. 

“Wir schauten in das blaustichige Fernsehbild und in den Pixeln des Bildschirms sah ich für eine Sekunde eine merkwürdige Interferenz, ein aufflackerndes Bild einer anderen Gesellschaft, einer ganz anderen Welt mit acht Monden, deren Gezeitenkräfte dafür sorgen, dass alle Dinge jener Welt um etwa 45 Grad angewinkelt sind: Häuser, Menschen, Bäume. Sie sind alle schief. Und ihre Schiefe ist alles, was sie kennen. In ihr wirkt die Welt trauriger. Aber es hat auch etwas Beruhigendes, nicht ordentlich orthogonal zum Boden, sondern wie im Fallen fixiert zur Welt zu stehen. Ich glaube, ich hatte an diesem Tag etwas gesehen, das ich nicht hätte sehen dürfen, und das ich jetzt immer bei mir trage in entlegenen Winkeln meines Hirns.” [Rudi Nuss – Nebenan, die Weite oder: Die jämmerliche Fähigkeit des Kapitals, Leere zu reproduzieren]

Außerdem mit dabei sind Elena Zieser mit einem Ausschnitt aus ihrem Hörspiel Helena und Beau Baum mit Gedichten und Kurzprosa. Musikalisch begleitet wird die Sendung vom Singer- Songwriter Robert Wenzl. 

Premiere:
Dienstag, 20. April 2021 – 22:00 Uhr
https://www.radiolotte.de

Mediathek der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.:
https://studio-literatur.podigee.io

///

Rudi Nuss (*1994) lebt in Berlin, ist als Redakteur für Die Epilog – Magazin zur Gegenwartskultur tätig und engagiert sich beim wortbau e.V. zur Förderung junger Autor*innen. Preisträger beim 24. open mike, nominiert beim Wortmeldungen Förderpreis 2019. Für seinen Roman »Die Realität kommt« erhielt er 2020 das Berliner Senatsstipendium.

Elena Zieser, geboren 1989 in Nürnberg, Audiokünstlerin, lebt und arbeitet in Berlin. Seit ihrem Studium der Medienkunst an der Bauhaus-Universität Weimar, mit Schwerpunkt am Lehrstuhl für Experimentelles Radio, arbeitet sie als selbstständige Künstlerin im Bereich Hörspiel und Klangkunst. In ihren Arbeiten mischen sich häufig Originaltonaufnahmen aus Interviews oder dokumentarischem Material mit geschriebenen und fiktionalisierten Texten und bilden somit neue Kontexten und Geschichten. Sie begreift Sprache und Klang als kompositorische Elemente, die in ihrer Gesamtheit die Atmosphäre ihrer Arbeiten darstellt. Sie ist immer auf der Suche nach neuen Formen der Rezeption von Klang, vor allem im öffentlichen Raum und im Theater, aber auch im Museumsraum sowie im Off-Space. Die Beziehung zwischen Menschen und besonders ihre nicht-sichtbare Kommunikation, bilden oft den Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Neben der Tätigkeit als Hörspiel-Regisseurin, schreibt und produziert sie Hörspiele und Klanginstallationen und leitet Workshops und Seminare zum Thema Sounddesign, Produktion und Audioschnitt. Ihre Hörspiele wurden u.a. in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgestrahlt.

Beau Baum, geboren 1999 in Gotha, verbringt seine Zeit mit Studieren in Hildesheim (Medien, Theater und Literatur) und damit, diverse Arten von Kunst machen. Veröffentlicht wurde er schon – unter anderem Namen – beispielsweise in der Anthologie des Treffen junger AutorInnen 2018 oder im konkursbuch Tod 2020. Momentan studiert er – trotz Pandemie – in Paris und konzentriert sich auf den eher filmischen Teil seines Studiums. Er hofft, in Zukunft noch ein paar mehr Dinge zu erleben oder zu veröffentlichen, die sich in solchen biografischen Angaben erwähnen lassen. Seine Themen, sowohl akademisch, als auch literarisch, als auch gelebt, kreisen gerade um die Komplexe Identität, Dokumentieren, Videospiel und Queerness.

Robert Wenzl wurde 1990 in einer ostdeutschen Kleinstadt geboren und kam – nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker, Work and Travel und Abitur auf dem zweiten Bildungsweg – über Umwege als Singer-/Songwriter zum Schreiben. Nach mehreren Veröffentlichungen in der Erfurter Zeitschrift HANT war er 2016 Preisträger des Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen. Dazu veröffentlichte er in den letzten Jahren mehrere EPs. 2017/18 komponierte er Lieder für das Jugendtheaterstück #esistkompliziert am Jungen Staatstheater Karlsruhe. 2018 war er in der Kategorie Lyrik Finalist beim open mike, der Text wurde von der von Leif Randt und Jakob Nolte betriebenen Website telegmedia.net veröffentlicht. 2019 komponierte er, wieder in Karlsruhe, Lieder für das Jugendtheaterstück Nina und Paul. Ebenfalls 2019 veröffentlichte er mit seiner Band Innung für Rockmusik seine erste Rock-Platte. Momentan studiert er Humangeographie an der Humboldt-Universität zu Berlin.  Seit 2020 betreibt Robert Wenzl den Blog und Podcast Wo ist der Bus?, in dem es um die DDR, das Aufwachsen in der Nachwendezeit sowie aktuelle Tendenzen in Ostdeutschland geht.

///

Die unabhängige Lesereihe IN GUTER NACHBARSCHAFT gehört zum festen Bestandteil der Thüringer Literaturszene. Sie vereint seit 2014 neue Lyrik und Prosa mit aktueller Musik. Über zahlreiche selbst organisierte Veranstaltungen hinaus wird die Lesereihe von Kulturveranstaltern im gesamten Freistaat als zuverlässiger Partner für anspruchsvolle und unterhaltsame Literatur geschätzt.

IN GUTER NACHBARSCHAFT ist ein Projekt der Literarische Gesellschaft Thüringen e.V. und wird gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaats Thüringen und das Junge Literaturforum Hessen-Thüringen.

Außerdem sind wir Teil der Initiative Unabhängige Lesereihen.